taz.de -- Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Der Sündenfall

Sigmar Gabriel verdonnert Justizminister Maas zur Vorratsdatenspeicherung. Das ist erst der Anfang der anlasslosen Massenüberwachung.
Bild: Er war's.

Die Symbolik war eindeutig. Justizminister Heiko Maas (SPD) trat für ein kurzes Statement vor die Presse, ließ drei Fragen zu und ging. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nahm sich dagegen dreimal so viel Zeit und erläuterte das Vorhaben ausführlich. De Maizière ist zwar nicht federführend, aber er hat sich überwiegend durchgesetzt. Überwachungskritiker Maas hatte eine schwache Position, weil ihn SPD-Chef Gabriel zum Einlenken verdonnert hatte.

Jenseits der Details ist zunächst festzuhalten: Deutschland führt erneut eine anlasslose Massenüberwachung ein. Die Telefonverbindungsdaten von 80 Millionen Menschen werden monatelang vorsorglich gespeichert für den Fall, dass die Polizei sie einmal brauchen könnte.

Erst wird also alles gesammelt, und dann schaut man, was wirklich relevant ist. So denkt ein Überwachungsstaat. Und das wird erst der Anfang sein. Auf EU-Ebene wird derzeit über eine fünfjährige Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten verhandelt. Die Bundesregierung ist dafür.

Wer von der SPD nachhaltigen Widerstand gegen solche Entwicklungen erwartet, ist naiv. Die SPD ist eine Law-and-Order-Partei oder hat Angst, nicht als solche wahrgenommen zu werden. Fast alle SPD-Innenminister sind deshalb für die Vorratsdatenspeicherung.

Doch auch wenn man den jetzt vorgestellten „Kompromiss“ genauer betrachtet, ist er enttäuschend. Es ist zwar gut, die E-Mail-Daten nicht vorsorglich zu speichern. Aber warum gilt das nicht auch für Telefon- und SMS-Verbindungen? Was die Polizei am dringendsten braucht, ist die Speicherung der jeweils kurzfristig vergebenen IP-Adressen, um sie bei Bedarf realen Personen zuordnen zu können. Hier signalisieren sogar Datenschützer Kompromissbereitschaft. Die SPD ist weit darüber hinausgegangen.

15 Apr 2015

AUTOREN

Christian Rath

TAGS

SPD
Thomas de Maizière
Heiko Maas
Vorratsdatenspeicherung
Schwerpunkt Überwachung
Datenschutz
Datenschutz
Datenschutz
Schwerpunkt Überwachung
Vorratsdatenspeicherung
FDP
Schwerpunkt Überwachung
Germanwings
Bundesverfassungsgericht

ARTIKEL ZUM THEMA

Fluggastdatenspeicherung vor Gericht: Wie weit gehen die Grundrechte?

Die obersten europäischen Richter haben Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Speicherung von Fluggastdaten. Heißt das auch, dass sie nicht kommt?

Kritiker der Vorratsdatenspeicherung: „Heiko Maas hat gut verhandelt“

Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, rechnet mit der Zustimmung des SPD-Konvents zur Vorratsdatenspeicherung.

Fahrplan der Vorratsdatenspeicherung: Über den Kopf der Partei hinweg

Die Koalitionsfraktionen wollen noch vor der Sommerpause einen Beschluss fassen. Was die Bundes-SPD dazu sagt, ist der Fraktion relativ egal.

SPD-Netzaktivist über Vorratsdaten: „Ein reines Placebo-Thema“

Die Vorratsdatenspeicherung wird auch mit neuem Namen nicht besser. Dafür gibt es in der SPD-Basis 2015 keine Mehrheit mehr, glaubt D64-Aktivist Nico Lumma.

Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung: Was die Polizei wissen darf

Der Innen- und der Justizminister stellen ihren Kompromiss für die Vorratsdatenspeicherung vor. Nur Polizisten sollen an die Daten herankommen.

Leutheusser-Schnarrenberger über Angst: „Na und?“

Sie war die einzige Ministerin, die nach einem Rücktritt zurückkam. Die FDP flog aus dem Parlament, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger macht weiter.

Gabriel und die Vorratsdatenspeicherung: Tragik und Inkompetenz

Wieder ein Fauxpas: Der SPD-Chef meint, die Polizei hätte die NSU-Mordserie mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung stoppen können.

Ex-Justizministerin über Flugkatastrophe: „1.000 Prozent Sicherheit gibt's nicht“

Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine kämpft Sabine Leutheusser-Schnarrenberger weiter gegen die Lockerung des Datenschutzes an.

Streit um Überwachung: Sigmar Gabriel irrt auf Vorrat

Wenn es um die politisch heikle Vorratsdatenspeicherung geht, bringt der SPD-Chef ständig die Fakten durcheinander. Null Ahnung – oder Absicht?