taz.de -- Kommentar Michail Chodorkowski: Menschenrechte sind nicht teilbar

Wer Chodorkowski sagt, muss auch Snowden sagen: Es gibt keinen juristischen Grund, dem früheren NSA-Mitarbeiter die Aufnahme zu verweigern.
Bild: Einer ist in Deutschland, der andere nicht: Chodorkowski und Snowden.

Über Motive und mögliche Geheimabsprachen aller Beteiligten im Zusammenhang mit der Freilassung des Putin-Gegners Michail Chodorkowski darf risikolos spekuliert werden – es wird noch lange, vielleicht sogar Jahrzehnte, dauern, bis die Öffentlichkeit alle Details über dieses Meisterstück der Geheimdiplomatie erfährt.

Eines aber steht schon jetzt fest: Der Fall Chodorkowski zeigt, dass alle Behauptungen, Edward Snowden könne aus rechtlichen Gründen keine Aufnahme in Deutschland finden, Unfug waren. Juristen sagen das schon länger, aber deren Hinweise werden gern überhört. Nun ist klar: Wenn der politische Wille dazu besteht, dann gibt es niemanden, der oder die nicht hierher kommen darf. Im Falle des russischen Regimekritikers gibt es diesen Willen, im Falle des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters nicht. So einfach ist das.

Ein Bundesrichter in den Vereinigten Staaten hat kürzlich die Überwachungspraxis des Geheimdienstes NSA als mutmaßlich verfassungswidrig eingestuft. Präsident Barack Obama kündigte umfassende Änderungen der NSA-Programme an. Ohne Edward Snowden und seine Enthüllungen wäre die Diskussion gar nicht erst in Gang gekommen – und trotzdem soll dem Whistleblower auch weiterhin der Prozess gemacht werden. Dass der zu einem Rachefeldzug wird, ist nicht auszuschließen. Gerade erst hat der ehemalige CIA-Chef James Woolsey gefordert, Edward Snowden wegen Hochverrats anzuklagen und zum Tode zu verurteilen.

Niemand behauptet, dass Michail Chodorkowski seine Milliarden ausschließlich auf legalem Wege erworben hat. Aber ihm ist aus politischen Gründen der Prozess gemacht worden, und seine Freilassung ist schon allein aus humanitären Gründen ein Grund zur Freude. Edward Snowden hat sich nicht bereichert. Er hat nur die Welt über Dinge informiert, die zu wissen sie einen Anspruch hat.

Edward Snowden möchte gern in Deutschland leben, aber anders als Chodorkowski ist er hier nicht willkommen. Warum nicht? Weil Washington – im Gegensatz zu Moskau – mit uns verbündet ist. Mit realpolitischen Argumenten lässt sich die Zurückweisung von Snowden gut begründen. Aber wir sollten uns dann auf unsere vermeintliche Achtung vor den Menschenrechten nicht zu viel zugute halten.

22 Dec 2013

AUTOREN

Bettina Gaus

TAGS

Michail Chodorkowski
Edward Snowden
Asyl
NSA
Menschenrechte
Russland
Michail Chodorkowski
Russland
Michail Chodorkowski
Michail Chodorkowski
Edward Snowden
Wladimir Putin
Michail Chodorkowski
Familie
Michail Chodorkowski
Michail Chodorkowski

ARTIKEL ZUM THEMA

Chodorkowski-Partner frei: Zehn Jahre Lager sind genug

Der Ex-Yukos-Manager Platon Lebedew kann sein Straflager als freier Mann verlassen. Wie Michail Chodorkowski musste er eine zehnjährige Strafe verbüßen.

Chodorkowski verlässt Berlin: Kreml-Kritiker in die Schweiz gereist

Michail Chodorkowski ist am Sonntag in Basel angekommen. Die Schweiz hatte ihm ein Visum ausgestellt. Dort liegt auch ein Teil seines Vermögens.

BRICS-Staaten 2014 – Russland: Man möchte doch Optimist sein

Werden die Brics-Staaten das 21. Jahrhundert prägen? In Russland steht 2014 im Zeichen der Winterspiele von Sotschi. Wünsche an ein Land.

Chodorkowskis PR-Agentur: Werbung für einen Häftling

Wer seinen Namen nicht in den Medien hält, wird leicht im Knast vergessen. Chodorkowskis Freilassung ist deshalb auch seinen PR-Agenturen zu verdanken.

Gericht prüft Chodorkowski-Urteile: Neue Hoffnung für den Oligarchen

Das Oberste Gericht Russlands lässt die Urteile gegen den Ölmilliardär Chodorkowski überprüfen. Unklar ist noch, was der Anlass für die Prüfung ist.

Snowden über seine Enthüllungen: „Ich habe bereits gewonnen“

Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden sieht seine Aufgabe als erfüllt an. In einem Interview mit der „Washington Post“ spricht er über seine Beweggründe.

Amnestie: „Ein russisch-sowjetisches System“

„Ich hatte kaum mehr geglaubt, dass ich den Tag noch erlebe“, sagt die grüne Osteuropa-Politikerin Marieluise Beck. Seit Jahren hält sie engen Kontakt zu Michail Chodorkowski. Am zweiten Tag nach seiner Freilassung, als die Fernsehjournalisten vor dem Hotel Adlon warteten, traf sie sich mit ihm.

Michail Chodorkowski in Berlin: Ziellos in Berlin

Der Kremlkritiker sagt beim ersten Auftritt in Freiheit, er wolle weder Politik noch Geschäfte machen. Aber er will sich für politische Gefangene einsetzen.

Michail Chodorkowski in Berlin: In Russland droht erneute Haft

Der Kreml-Gegner Chordorkowski will nicht zurück nach Russland. Er befürchtet, dort erneut festgehalten zu werden. Am Nachmittag will er sich in Berlin näher äußern.

Freigelassener Kreml-Gegner: Chodorkowski trifft Familie in Berlin

Michail Chodorkowski hat seinen Sohn bereits gesehen, nun sind die Eltern des Kreml-Kritikers in Deutschland gelandet. Für Sonntag ist eine Pressekonferenz angekündigt.

Putin-Gegner Michail Chodorkowski: Vom Straflager direkt nach Berlin

Angela Merkel hatte sich mehrfach für Chodorkowski stark gemacht. Kaum wurde der von Präsident Putin begnadigt, flog er im Privatjet nach Deutschland aus.

Begnadigungen in Russland: Chodorkowski ist frei

Putin begnadigte einige seiner Kritiker, darunter auch Michail Chodorkowski. Von einem Gnadengesuch wissen dessen Anwälte aber nichts.