taz.de -- Studie zu Verteilung von Vermögen: Armes Deutschland
Vermögen ist in Deutschland extrem ungleich verteilt, zeigt eine DIW-Studie. Die ärmere Hälfte besitzt nur rund ein Prozent des gesamten Nettovermögens.
Wie reich sind die Reichen in Deutschland? Dazu war bisher wenig bekannt. Es gab keine belastbaren Zahlen, sondern nur Schätzungen. Diese Datenlücke hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nun geschlossen. Ergebnis: Allein das reichste Prozent, also das oberste Hundertstel, besitzt bereits rund 35 Prozent der individuellen Nettovermögen. Die reichsten zehn Prozent kommen gemeinsam auf 67,3 Prozent der Vermögen.
Da bleibt für den Rest der Bevölkerung nur wenig übrig. Die untere Hälfte der Bundesbürger besitzt nur rund ein Prozent des gesamten Nettovermögens. In konkreten Zahlen: Im Durchschnitt kommen sie auf ein Vermögen von 3.682 Euro. Sie besitzen also im wesentlichen ein Auto – und das war es dann auch schon. „Reichtum“ wird da schnell zu einem relativen Begriff: Man muss nämlich nur über ein Gesamtvermögen von 22.800 Euro verfügen, um statistisch schon zur reicheren Hälfte der Bevölkerung zu gehören.
Die Lage der Unter- und Mittelschichten war [1][schon immer gut erforscht,] weil sie regulär an den repräsentativen Erhebungen teilnehmen, die vom Statistischen Bundesamt, von der Bundesbank und vom Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) beim DIW durchgeführt werden. Datenlücken gab es hingegen bei den Millionären und Milliardären, weil diese kaum zu bewegen sind, [2][über ihr Vermögen freiwillig Auskunft zu geben]. Der letzte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung konstatierte daher frustriert: „Für höchste Einkommen und Vermögen liegen kaum belastbare Daten vor.“
Da im nächsten Jahr erneut ein Armuts- und Reichtumsbericht ansteht, wollte die Bundesregierung die Datenlage verbessern und hat daher das Forschungsprojekt gefördert, dessen Ergebnisse nun publiziert wurden. Die Detektivarbeit war nicht einfach, wie Carsten Schröder vom DIW erklärt: „Im Unterschied zu vielen anderen Ländern gibt es in Deutschland keine Daten aus der Vermögenssteuer, aus denen sich ablesen ließe, wie hoch die Vermögen am oberen Ende sind.“
Datenlücke erstmals geschlossen
Um die Spuren des Reichtums zu verfolgen, haben sich die DIW-Wissenschaftler eines Tricks bedient: Unternehmen sind verpflichtet, Informationen über ihre Eigentümerstrukturen zu veröffentlichen. Diese Daten werden wiederum kommerziell von einem belgischen Dienstleister namens Bureau van Dijk gesammelt und ausgewertet. Das DIW konnte daher ermitteln, dass 1,7 Millionen Menschen ihren Wohnsitz in Deutschland haben und mindestens 0,1 Prozent an einem Unternehmen halten. Aus dieser Gruppe wurden 1.956 Haushalte zufällig ausgewählt und intensiv befragt.
Den DIW-Forschern ist es damit erstmals gelungen, die Datenlücke zu schließen, die bei den Vermögen von etwa drei bis 250 Millionen Euro klaffte. Allerdings ist damit noch immer nicht der gesamte Reichtum statistisch erfasst. In Deutschland leben bekanntlich auch Milliardäre. Doch sie schweigen weiter eisern über ihr Vermögen.
Den DIW-Forschern blieb daher nur, das Manager-Magazin zu konsultieren, das jährlich eine Hitliste der deutschen Vermögen veröffentlicht. Für das Jahr 2017 waren dort rund 700 MillionärInnen aufgeführt, die mehr als 250 Millionen Euro besaßen. Auch sie wurden in die DIW-Auswertung integriert.
Im Gesamtergebnis zeigte sich, dass das reichste Prozent der Bevölkerung rund 35 Prozent des individuellen Nettovermögens besitzt. Bisher war man von „nur“ 22 Prozent ausgegangen. Das reichste Zehntel kommt nun auf 67,3 Prozent, nachdem man zuvor von 58,9 Prozent angenommen hatte.
Ältere Männer aus dem Westen
Etwa 1,5 Prozent der Deutschen besitzt mehr als eine Million Euro. Wenig überraschend handelt es sich dabei meist um Männer, die schon älter sind. Sie sind zudem besser gebildet als der Durchschnitt und oft selbstständig. Meist wohnen sie im Westen; ganze sechs Prozent der deutschen MillionärInnen kommen aus den neuen Bundesländern. Nur 30 Prozent sind Frauen, 14 Prozent haben einen Migrationshintergrund.
Die DIW-Forscher wollen jedoch nicht nur diese nackten Zahlen erheben. Ihnen geht es auch um „dynamische Informationen“, wie Schröder erklärt. Es wurden die kompletten Biographien abgefragt, um zu verstehen, „wie Millionäre ihr Vermögen erworben haben, wie sie es verwenden und wie sie es an die nächste Generation weitergeben“. Dabei zeigte sich: Die MillionärInnen sind zufriedener als die übrige Bevölkerung – egal ob es um Einkommen, Arbeit, Wohnung, Familie oder Gesundheit geht.
15 Jul 2020
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
3.330 Menschen in Deutschland besitzen fast ein Viertel des gesamten Finanzvermögens. Das sagt ein Bericht der Beratungsfirma Boston Consulting.
Wie kann man Reichtum gerecht verteilen? Über den Aufruf zur Demo in Blankenese streiten Veranstalter Ansgar Ridder und Anwohner Christian Rudolf.
Am Samstag mobilisiert deshalb das Bündnis „Wer hat, der gibt“ bundesweit zu Demos. Zumindest ein Berliner Millionär findet das Anliegen verständlich.
Haben Kulturschaffende für Krisenzeiten einfach den falschen Beruf gewählt? Die Ungleichverteilung von Coronahilfen führt zur Entsolidarisierung.
Hamburg ist die deutsche Stadt mit den meisten Millionär*innen. Doch das Geld ist extrem ungleich verteilt. Gerechte Besteuerung wäre ein Anfang.
Miese Lernbedingungen, wenig Freizeitmöglichkeiten, schlechte medizinische Versorgung: Eine Studie zeigt die Folgen von Kinderarmut.
Deutschland braucht eine Vermögenssteuer. Doch dafür fehle der politische Wille, bemängelt der Sozialwissenschaftler Michael Hartmann.
Die meisten Deutschen haben keinerlei Vermögen. Nur ist es zu einfach, die Unter- und Mittelschichten allein als Opfer zu sehen.
Vermögen und Einkommen im Millionenbereich müssen stärker besteuert werden – fordern nicht etwa linke Rabauken, sondern Millionär*innen.
Die erste Coronawelle ging eher von Party-Deutschen aus. Nun sind Menschen in prekären Verhältnissen betroffen.
Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich wird in Deutschland angeblich kleiner, besagt eine Studie. Dabei kann man das kaum erheben.