taz.de -- Protest nach Entscheid zum Mietendeckel: Wut und Frust

Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel kippt, ziehen mehrere Tausend Berliner:innen durch die Stadt. Sie sind wütend und enttäuscht.
Bild: Der Protest gegen den Entscheid des Bundesverfassungsgericht war zunächst friedlich, dann kippte die Stimmung

Berlin taz | Die Stimmung ist überwältigend. Keine neun Stunden liegen zwischen der [1][Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts] am Donnerstagmorgen, das den Berliner Mietendeckel für nichtig erklärte, und dem Beginn der anschließenden Spontandemonstration am frühen Abend am Hermannplatz in Berlin. Die Polizei spricht von einer Teilnehmendenzahl „im mittleren vierstelligen Bereich“. Der Veranstalter der Demo schätzt die Zahl auf 15.000 Menschen. Eine wohl realistische Einschätzung; die Demo zieht sich nahezu vom Hermannplatz im Bezirk Neukölln bis zum Kottbusser Tor in Kreuzberg. Fast die gesamte Route ist mit Menschen gefüllt.

Die Demonstrierenden klopfen mit Löffeln auf Töpfe, es ist schrill und laut. Irgendwo wird Techno gespielt, woanders ertönen „Anticapitalista“-Sprechchöre. „Wir deckeln eure Klassenjustiz“ steht auf einem Plakat; „Deutsche Wohnen enteignen, bester Trick, bricht dem Miethai das Genick“ auf einem anderen. Sichtlich improvisierte Pappschilder werden von Anwohner:innen aus ihren Wohnungsfenstern gehalten, auch hier ist wieder die Forderung „Enteignen!“ zu lesen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist für die Berliner Mieter:innen [2][ein worst-case-Szenario]. Die Immobilienkonzerne können nun die häufig in den Mietverträgen festgeschriebenen Schattenmieten rückwirkend einfordern. Zumindest Berlins größter Immobilienkonzern, die Deutsche Wohnen, kündigte ein derartiges Vorgehen bereits bereits via Twitter an. Für Tausende Berliner:innen dürfte das Urteil wohl [3][die sofortige Verschuldung] bedeuten. In vielen mietenpolitischen Initiativen schwirrt deshalb die Idee eines „Notfallfonds“ herum, um die enorme Last wenigstens etwas abzufedern.

Viele Mieter:innen müssen nachzahlen

„Ich bin enttäuscht und wütend“, bringt ein Demonstrationsteilnehmer seine Stimmung zum Ausdruck. Er müsse jetzt 1.500 Euro an seinen Vermieter zahlen, seine Miete sei um 300 Euro erhöht worden. Die nächste Teilnehmerin toppt das: „7.000 Euro müssen wir jetzt blechen“, sagt sie verzweifelt. Ihre Miete würde sich um 500 Euro erhöhen. Sie fährt fort: „In meiner Wohnung kann ich jetzt nicht mehr bleiben“. „Wir haben die Schnauze voll und werden uns das nicht gefallen lassen“, bringt ein etwa 40-jähriger Mann die Stimmung auf den Punkt.

Zu der Demonstration aufgerufen hatte unter anderem das „Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“, das in einer Pressemitteilung von einer [4][„wohnungspolitischen Katastrophe“] sprach und deshalb einen „bundesweiten Mietstopp“ forderte. Auch das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ rief zur Spontandemonstration auf und erklärte, die Enteignung der größten Wohnungskonzerne sei nun „alternativlos“. Mitinitiator der Kampagne Michael Prütz erklärte auf der Demo gegenüber der taz: „1,5 Millionen Mieter:innen sind von dem Urteil betroffen. Das einzige, was jetzt bleibt ist, unsere Kampagne zu unterstützen. Wir sehen bereits jetzt, dass wir noch einmal Zulauf bekommen“.

Am Kottbusser Tor wird die Demonstration von den Veranstalter:innen offiziell aufgelöst. Doch die Stimmung ist zu aufgeheizt. In der Folge eskaliert die Situation. Die Polizei drängt in die Menge, Videos auf Twitter dokumentieren das brutale Vorgehen der Beamt:innen. Schlagstöcke und Pfefferspray werden eingesetzt, es kommt zu vielen Festnahmen.

Laut Polizeiangaben hätten 400 Teilnehmer*innen den Ort nicht verlassen wollen, sagte ein Sprecher der Polizei am Donnerstagabend. Aus dieser Gruppe heraus sei es vereinzelt zu Straftaten gegenüber Polizeibeamten gekommen. In der Folge seien zunächst Durchsagen gemacht und dann polizeiliche Maßnahmen ergriffen worden. Einem Sprecher zufolge wollte die Polizei erst am Freitagmorgen weitere Details zu dem Einsatz bekanntgeben.

15 Apr 2021

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AUTOREN

Timm Kühn

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