taz.de -- Nach Compact-Verbot: Jetzt erst recht

Das gekippte Compact-Verbot beweist, dass die Bemühungen um ein AfD-Verbot sinnlos wären? Im Gegenteil: Es liefert umso mehr Argumente dafür.
Bild: Jürgen Elsässer, Compact-Chefredakteur: Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot des rechtsextremen Magazins „Compact“ aufgehoben

Das [1][Compact-Verbot ist gescheitert], wirkt aber trotzdem. Zwar konnte der Rechtsextremist Jürgen Elsässer mit seiner Systemsturzpostille vor Gericht das von der früheren SPD-Innenministerin Nancy Faeser verhängte Vereinsverbot kippen. Doch in der dem Magazin fast schon [2][parteispendenverdächtig] nahen AfD sorgt das Urteil interessanterweise für Unruhe. Einige reden von einem „Pyrrhussieg“ und fürchten ein erhöhtes Risiko für ein Parteiverbot.

Das liegt vor allem an der Urteilsbegründung, die wohl auch das [3][erstaunlich laute Schweigen der AfD-Spitze] zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erklärt. Wirklich brisant für sie dürfte die Passage zum Rechtsextremisten und Kopf der Identitären Bewegung Martin Sellner sein. Das Gericht führt darin dezidiert aus, dass Sellners [4][„Remigrationskonzept“] (sprich Vertreibungskonzept) gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzip verstößt, da es Deutsche erster und zweiter Klasse schafft. Compact feiere Sellner als „Helden“ und verbreite dessen verfassungsfeindliche Konzepte.

Warum wurde das Magazin dann trotzdem nicht verboten? Weil in der Fake-News-Schleuder noch genug anderer Bullshit steht, der aber nicht illegal ist. In der Gesamtschau sind dem Gericht Sellners Rassismuskonzepte nicht „prägend“ genug. Bei Vereinsverboten greift das Verwaltungsrecht, und da gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, nach dem Aussagen möglichst wohlwollend auszulegen sind.

Doch hier liegt das Problem für die AfD: [5][Ein bisschen verfassungsfeindlich gibt es im Parteiverbotsverfahren juristisch nicht, ebenso ist die AfD durch und durch radikal]: Die [6][Vielzahl an Belegen] für Verletzungen der Menschenwürde macht ein Verbot wahrscheinlicher. Die völkische Linie Sellners [7][prägt] die Partei schon längst. AfD-Politiker reden vom „schleichenden Genozid an Deutschen“, hetzen gegen Minderheiten und nehmen rechte Gewalt dabei billigend in Kauf. Vor allem mit Blick auf den Minderheitenschutz bleibt es deswegen auch weiterhin richtig, ein Verbotsverfahren ernsthaft zu prüfen und vorzubereiten.

Die AfD ist mehr als eine rechte Propagandazeitung

Einen fanatischen Putin-Anhänger mit eigener Propagandazeitung muss die wehrhafte Demokratie wohl aushalten. Bei einer bedrohlich stärker werdenden rechtsextremen Partei [8][sieht das Grundgesetz explizit anderes vor] – aus [9][historischen Gründen]. Trotz der Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch von einem Verbotsantrag abzusehen – ja, ihn nicht einmal zu prüfen –, bleibt daher politisch fahrlässig. Auch wenn der Verbotsantrag nach dem Compact-Urteil politisch tot zu sein scheint, sollte die Demokratie prüfen, ob sie ihre Zersetzung weiter mit Steuergeldern finanzieren will.

Die Strategie, die AfD „politisch zu stellen“, scheitert, solange sie sich auf das [10][Kopieren rassistischer Inhalte] beschränkt und eine Abkehr von Jahrzehnten neoliberaler Politik, die soziale Ungleichheit und politische Entfremdung verstärkt hat, ausbleibt. Diese Entwicklungen bereiten den Boden für autoritäre Verschiebungen. Die Demokratie darf dem nicht tatenlos zusehen.

28 Jun 2025

LINKS

[1] /Rechtsextreme-Medien/!6093012
[2] /Verdacht-auf-illegale-Parteispenden/!5999720
[3] https://www.zdfheute.de/politik/deutschland/compact-magazin-urteil-kein-verbot-100.html
[4] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/
[5] https://verfassungsblog.de/ist-dieses-urteil-der-anfang-vom-ende-der-afd/
[6] /Was-steht-im-AfD-Gutachten/!6087894
[7] /Weidel-zur-AfD-Kanzlerkandidatin-gewaehlt/!6061592
[8] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_21.html
[9] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-ein-nsdap-verbot-hitler-haette-stoppen-koennen-110371189.html
[10] /Einsparungen-im-Haushalt/!6096677

AUTOREN

Gareth Joswig

TAGS

Schwerpunkt Jürgen Elsässer
Compact
AfD-Verbot
Bundesverwaltungsgericht
Demokratie
Schwerpunkt AfD
Kolumne Der rechte Rand
Schwerpunkt AfD
Rechte Szene
Geheimdienst

ARTIKEL ZUM THEMA

Fotografen der Identitären Bewegung: Ins rechte Licht gerückt

Das sächsische „Filmkunstkollektiv“ kümmert sich um die Inszenierung der identitären Szene und drehte zuletzt gar eine Höcke-Doku. Wer steckt dahinter?

Parteitag in Schleswig-Holstein: Wieso die AfD den Verfassungsschutz zu geheim findet

Trotz enger Verbindungen in die rechtsextreme Szene beobachtet Schleswig-Holsteins Verfassungsschutz den AfD-Landesverband nicht.

Künstler über Krise der Demokratie: „Dass wir sie lächerlich finden, nützt der AfD“

Weil wir sie nicht ernst nehmen, kann die AfD die Demokratie zerstören, sagt Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit.

Werbung auf rechten Youtube-Kanälen: Haribo macht Kinder froh – und rechte Influencer ebenso

Haribo, die Investitionsbank Berlin, FreeNow warben auf rechten Kanälen. Experten fordern Unternehmen auf, Sperrlisten für Internetwerbung aufzustellen.

Geheimdienst-Gremium ohne Linke und AfD: Chauvinistisch, konservativ, selbstgefällig

Die Union signalisiert mit der Absage an Linken-Fraktionschefin Reichinnek für das Geheimdienst-Gremium, dass sie deren Abgeordnete nicht braucht. Sie könnte sich täuschen.