taz.de -- Einführung der Gasumlage: Sozialverbände verlangen Entlastung
Die Gasumlage sei ein Chaos-Konstrukt, sagen Verbraucherschützer und Sozialverbände. Sie fordern Entlastungen für Verbraucher:innen.
Berlin taz | Spätestens im November oder Dezember dieses Jahres werden es Verbraucher:innen merken: Gas wird deutlich teurer. Je nach Anzahl der Personen, Quadratmeterzahl und Zustand der Wohnung werden manche Haushalte stärker belastet sein als andere. Was aber alle gemeinsam haben werden: Die Gasrechnung wird es in sich haben.
[1][Die Gasumlage soll die erhöhten Beschaffungskosten von Importeuren abfedern], die Kund:innen ihren Anteil tragen. Für Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, ist die Gasumlage aber schlicht ein Chaos-Konstrukt. Ob Haushalte und Unternehmen mit Festpreisverträgen und mit Fernwärmeversorgung die Umlage zahlen müssten, sei ungeklärt.
Ebenso die Frage, ob andere Haushalte die Mehrbelastung zusätzlich tragen müssten. Auch sei nicht eindeutig kommuniziert, wie und mit welchen Fristen die Energieversorgungsunternehmen die Preiserhöhung an ihre Kundschaft weitergeben. Die Folge, so Pop: Verunsicherung bei den Verbraucher:innen. Sie forderte die Bundesregierung auf, den Startschuss für die Gasumlage um einen Monat zu verschieben und die Kosten bis dahin selbst zu tragen. Also nachbessern, bevor die Kund:innen zahlen müssen.
Wer wenig verdient, den treffen die gestiegenen Preise – wenig überraschend – am stärksten. [2][Die Bundesregierung hat bereits Maßnahmen verabschiedet oder angekündigt], um Geringverdiener:innen, Studierende oder Rentner:innen zu entlasten. Mehr Wohngeld, mehr Kindergeld und höhere Steuerfreibeträge durch ein Inflationsausgleichsgesetz soll es geben. Für alle die steuerpflichtig erwerbstätig sind, gibt es in Kürze einen Zuschuss von 300 Euro, um die hohen Energiepreise abzufedern. Auch das neue Bürgergeld soll für mehr Entlastungen sorgen.
Forderung, Strom- und Gassperren auszusetzen
Sozialverbänden aber reicht das bei Weitem nicht aus – und sie rechnen damit, dass vor allem Menschen mit wenig Einkommen ihre Strom- und Gasrechnungen nicht zahlen können. „Wer wenig Geld hat, muss bei den Heizkosten gezielt unterstützt werden“, sagte Caritas-Präsidentin Eva-Maria Welskop-Deffaa der taz. Falls das neue Wohngeld zum Herbst nicht rechtzeitig komme, müssten die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer für eine weitere Einmalzahlung für Menschen mit wenig Geld genutzt werden. Die Caritas fordert daher Strom- und Gassperren so lange auszusetzen. Wenn Menschen wegen der Energieumlage oder der Inflation ihre Rechnungen nicht bezahlen könnten, dürfe trotzdem niemand im Dunkeln oder Kalten sitzen, so Welskop-Deffaa.
Ähnlich sieht das der Paritätische Gesamtverband und warnt vor einer neuen Armutsspirale bis hin zu Wohnungsverlust. Konkret fordert der Verband eine Anhebung des Regelsatzes auf 678 Euro und eine Ausweitung des Wohngeldes. Diese Maßnahmen müssten umgehend laufen, nicht erst ab Januar 2023.
Auch das evangelische Hilfswerk Diakonie spricht sich dafür aus, bei den Entlastungspaketen insbesondere die Menschen im Blick zu haben, die nahe am Existenzminimum leben, und ihnen die Zugänge zu Wohngeld- und Energiezuschüssen zu erleichtern. „Dafür müsste man die Bemessungsgrenzen verändern, nach denen jemand dazu berechtigt ist, Wohngeld zu empfangen“, sagte der Sozialpolitische Vorstand der Diakonie Deutschland, Maria Loheide, gegenüber der taz. Ihr geht es um gezielte Entlastungen, Einmalzahlungen nach dem Gießkannenprinzip lehnt sie ab.
Bundeskanzler Olaf Scholz versucht sich in Pragmatismus und verspricht ein weiteres Entlastungspaket. „Es wird teurer – da gibt es kein Drumherumreden“, twitterte der Kanzler am Montag nach der Ankündigung der Gasumlage. „Wir lassen niemanden allein mit den höheren Kosten.“ Wie genau ein solches Paket aussehen wird, ist aber offen.
16 Aug 2022
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