taz.de -- Lockerungsübungen an der Brandmauer: CDU schaufelt sich selbst ihr Grab

Selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung hat endlich verstanden: Nicht die Brandmauer stärkt die AfD, sondern das Entgegenkommen von Mitte-rechts-Parteien.
Bild: Vor der Nase: Ein Wahlplakat der AfD hängt vor dem Konrad-Adenauer-Haus mit dem Konterfei des CDU-Bundesvorsitzenden Merz

Newsflash: Zeitgleich, während die hinterletzte Reihe der Union mal wieder fordert, die politische Isolation der AfD zu durchbrechen, steht ein AfD-Kommunalpolitiker vor Gericht, der Teilnehmer eines Holocaustgedenkens mit einem Messer [1][bedroht haben soll]. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hess forderte kürzlich die jüdische Bildungsministerin Karin Prien dazu auf, [2][die Koffer zu packen], weil diese gesagt hatte, dass es nicht mehr ihr Land sei, wenn die Rechtsextremen regieren würden. Es werden immer mehr [3][AfD-„Patrioten“ bekannt], die mit einem mittlerweile verurteilten chinesischen Spion munter durch China gereist sind.

AfD-Politiker wollen wieder die im [4][Nationalsozialismus übliche erste Strophe des Deutschlandlieds singen], verbreiten Putin-Propaganda und Desinformationen, sie sind mit Neonazis vernetzt [5][und treffen munter Antisemiten]. Und das sind nur News aus den letzten paar Wochen. Die AfD ist berechtigterweise als gesichert rechtsextrem eingestuft, ihre Politiker*innen benennen Trump und Orbán als Vorbild, die beide ihre Demokratien zu einem illiberalen-autoritären Regime umgeschliffen haben.

Die AfD will die CDU zerstören. Sie will die Gesellschaft spalten mit populistischem und von Fakten entkoppeltem Kulturkampf und dabei die Gräben so unüberbrückbar vertiefen, dass die Union irgendwann gezwungen sein soll, mit Rechtsextremen zu kooperieren. Diese Strategie hat die AfD selbst komplett offen kommuniziert und sie klappt ganz gut bisher.

Schuld daran hat die Union selbst: Die Christdemokraten sollten im Angesicht dieser auch für sie existentiellen Bedrohung stabil und demokratisch bleiben – oder viel besser: es wieder werden. Eine Abkehr von populistischen Kulturkämpfen, wie sie Staatsminister Wolfram Weimer führt, ist dabei genauso hilfreich wie ein Stopp der von irrationalen Ängsten getriebenen Abschottungspolitik, die mit Fakten wenig zu tun hat und Gerichtsurteile wie Menschenrechte ignoriert.

Die Union macht längst AfD-Politik

Das Grundproblem der Republik ist im Moment, dass die Union in vielen Punkten längst auf AfD-Kurs eingeschwenkt ist und weiter versucht, die Rechtsextremen mit Scheinlösungen und Symbolpolitik „wegzuregieren“. Sie verleiht Rechtsextremen damit erst Wirkmacht und befriedigt den rassistischen Hass der AfD-Wähler*innen. Die Bundesrepublik führt sie damit in eine Demokratiekrise.

Müsste Merz nicht langsam merken, dass er mit diesem Kurs die AfD eben nicht halbiert hat? Es wäre ganz gut, wenn Pseudoliberale wie Peter Tauber oder Pseudodoktoren wie Karl-Theodor von und zu Guttenberg sich mal wieder mit wissenschaftlichen Erkenntnissen beschäftigen würden. Nicht die Brandmauer stärkt die AfD, sondern das Entgegenkommen von Mitte-rechts-Parteien.

Wenn Sie der taz nicht glauben: Kürzlich hat die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung [6][eine Studie herausgegeben] zum Umgang mit „rechtspopulistischen“ Parteien in Europa. Ergebnis: „Angesichts des extremistischen Charakters der AfD leiten sich aus dieser Studie insofern keine Hinweise ab, mit denen sich eine Zusammenarbeit mit der AfD begründen ließe.“ Auch international zeige sich, dass in maßgeblichen Fällen eine ‚Zähmung‘ rechtspopulistischer oder gar rechtsextremer Parteien durch Kooperation nicht gelungen sei und eher zu einer Schwächung von Mitte-rechts-Parteien geführt habe.

Die Union sollte ihrer eigenen Stiftung glauben und stattdessen lieber über wehrhafte Demokratie und ein AfD-Verbot nachdenken.

15 Oct 2025

LINKS

[1] /Gedenken-an-NS-Opfer-in-Strausberg/!6065883
[2] https://bsky.app/profile/anonymousgermany.bsky.social/post/3m2wgzg7iqs2m
[3] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100848262/afd-und-der-spion-aus-china-familie-schmidts-diskrete-diamantendeals.html
[4] https://www.sueddeutsche.de/politik/afd-usa-nationalhymne-li.3321456
[5] https://www.welt.de/politik/deutschland/article68ecaaa60bda2290ccea9495/afd-treffen-mit-antisemiten-pruefen-sie-im-vorfeld-sorgfaeltig-mit-wem-ein-gespraech-stattfindet.html
[6] https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/zwischen-abgrenzung-einbindung-und-tolerierung

AUTOREN

Gareth Joswig

TAGS

Kanzler Merz
AfD-Verbot
Schwerpunkt AfD
Jens Spahn
CDU/CSU
Rechtsextremismus
Reden wir darüber
CDU/CSU
Demonstration
CDU
CDU
Schwerpunkt AfD
Migration
CDU/CSU
Bundestag

ARTIKEL ZUM THEMA

Neue CDU-Gruppe „Compass Mitte“: „Wir versuchen, eine Bewegung zu werden“

Die Gewerkschafterin Monica Wüllner (CDU) ist eine der Gründerinnen von „Compass Mitte“. Die Gruppe fürchtet eine Annäherung ihrer Partei an die AfD.

Protest gegen rassistische Merz-Aussage: Tausende demonstrieren im Stadtbild

In Berlin gehen am Sonntagabend Menschen gegen die „Stadtbild“-Aussage des Bundeskanzlers auf die Straße. Sie werfen Merz Rassismus vor.

CDU-Präsidium zur Brandmauer: Merz nennt AfD den Hauptgegner

Die AfD wolle ein anderes Land und die CDU zerstören, warnt Kanzler Merz nach der CDU-Präsidiumssitzung. Zugleich bekräftigt er seine „Stadtbild“-Aussage.

CDU-Präsidium diskutiert Umgang mit AfD: Wie stabil ist die Brandmauer?

Die CDU berät über den Umgang mit der rechtsextremen Partei. Kanzler Merz sieht in ihr den „Hauptgegner“, andere fordern dagegen eine neue Strategie.

CDU und AfD: Wacklige Brandmauer

Weitere CDU-Politiker sprechen sich für Kooperationen mit der AfD aus. Ab Sonntag diskutiert die Parteispitze den Umgang mit der extrem rechten Partei.

taz Talk zu Perspektiven der Migration: Dem Rechtsruck widerstehen

Wie kann eine menschliche und mehrheitsfähige Migrationspolitik gelingen? In der taz diskutieren das Gilda Sahebi, Ahmad Katlesh und Gerald Knaus.

Bundestagung der CDA: Scharfe Analyse, moderate Forderungen

CDA-Chef Dennis Radtke will die CDU zur „Brandmauer gegen die AfD“ machen. Der Sozialflügel ist nett zu Jens Spahn, hat aber ein paar kritische Fragen.

Schwarz-Rot und das Richterdebakel: Was, wenn der Riss viel zu tief ist, um geflickt zu werden?

Egal ob das Richterdebakel Unfall oder Absicht war, Spahn muss weg. Das entscheidende Problem zwischen Schwarz-Rot wäre damit trotzdem nicht gelöst.