taz.de -- CDU wählt neuen Vorsitzenden: Merz' Triumph

Der CDU-Parteitag wählt einen neuen Bundesvorstand. Das beste Ergebnis erzielt Friedrich Merz, der einstige Polarisierer.
Bild: Endlich CDU-Chef: Friedrich Merz ist am Ziel

Berlin taz | Für einen Moment zeigt Friedrich Merz tatsächlich, wie bewegt er ist. „Liebe Freundinnen und Freunde“, sagt er, dann hält er kurz inne, ihm kommen die Tränen. Merz schluckt, erst dann sagt er mit schwankender Stimme, dass er das Wahlergebnis annehme. Zweimal ist er mit dem Versuch gescheitert, CDU-Chef zu werden. Beim dritten Mal klappt es nicht nur, es ist ein Triumph.

Die Delegierten des CDU-Parteitags küren Merz, 66, an diesem Samstag mit fast 95 Prozent zu ihrem neuen Vorsitzenden. Das ist für einen, der noch vor kurzer Zeit in der CDU polarisierte wie kaum jemand sonst, ein sensationelles Ergebnis. Und dürfte für den Sauerländer, der in sich selbst immer den besten Kandidaten für dieses und andere Ämter sah, eine späte Genugtuung sein.

Dass er gewählt werden würde, war sicher, die Mitglieder hatten sich in einer Befragung deutlich für ihn ausgesprochen. Doch das Ergebnis in seiner Klarheit überrascht viele dann doch. Und es gibt Merz deutlich mehr Autorität als seinen beiden gescheiterten Vorgänger:innen.

Das gute Abschneiden dürfte auch daran liegen, dass der Sauerländer in seiner Bewerbungsrede [1][seinem neuen Kurs] treu bleibt. Viel spricht er von Geschlossenheit, vom Team, sagt weniger „ich“ und häufiger „wir“. Merz macht klar, dass er der Parteichef aller Christdemokrat:innen sein will, nicht nur seiner wertkonservativen und wirtschaftsliberalen Anhänger:innen. Und dass die CDU, wenn sie denn Volkspartei bleiben will, ihre [2][ganze Bandbreite ausspielen und einbinden] muss.

Vom Parteitag gehe ein „kraftvolles Signal des Aufbruchs und der Erneuerung der CDU aus“, sagt Merz und dass die CDU als Opposition den Anspruch an sich selbst stelle, die Regierung von morgen sein zu können. „Täuschen wir uns nicht: Bis dahin kann es ein weiter Weg sein“, warnt er aber zugleich. „Wenn wir uns streiten, wenn wir in alle Himmelsrichtungen auseinander laufen, wenn wir ein unklares Bild abgeben, wenn wir bei den Themen nicht auf der Höhe der Zeit sind, dann wird es möglicherweise sehr lang dauern. Und selbst dann ist es nicht gesagt, dass es überhaupt gelingt.“ Das beschreibt die Aussichtslage ganz gut, in der Merz nun Parteichef sein wird.

Auch inhaltlich breitet er die Arme aus. Drei Themenbereiche hebt er als wichtig hervor: die Versöhnung der sozialen Marktwirtschaft mit dem Klimaschutz, die äußere und innere Sicherheit und auch die soziale Gerechtigkeit. Merz betont, wie wichtig es sei, die Chancen von Kindern aus benachteiligten und bildungsfernen Familien zu erhöhen und spricht vom „uneingelösten Versprechen der Arbeitnehmer am Produktivkapital“. Da dürfte sich an den Bildschirmen daheim manch Delegierter die Augen reiben. Das ist eine Rede, die so ähnlich auch sein Vorgänger Armin Laschet hätte halten können, oder auch Annegret Kramp-Karrenbauer, dessen Vorgängerin. Von dem Polarisierer, dem kantigen Konservativen, dem Anti-Merkel, der Merz jahrzehntelang war, ist nichts mehr zu spüren.

Die Neuwahl war nötig geworden, weil Laschet nach dem Debakel bei der Bundestagswahl seinen Posten zur Verfügung gestellt hatte, der gesamte Bundesvorstand tat es ihm gleich. Er wird deshalb heute neu gewählt, obwohl er erst ein gutes Jahr im Amt ist. Der Parteitag wird wegen Corona digital durchgeführt, zum zweiten Mal schon. Deshalb sind die Wahlergebnisse das einzige, an dem sich die Stimmung der Delegierten ablesen lässt.

Gesendet wird ein Stream aus der Berliner Parteizentrale, wo nur ein kleiner Kreis aus der CDU-Spitze zugegen ist und Journalist:innen keinen Zutritt haben. Diese sehen wie die Delegierten, die zu Hause auf dem Sofa oder am Schreibtisch, vielleicht aber auch im kleinen Kreis in der CDU-Kreisgeschäftsstelle sitzen, vor allem das dreiköpfige Gremium, das den Parteitag leitet. Und nach und nach einzelne Kandidat:innen, die sich vorstellen. Aber selbst von ihnen sind nur wenige vor Ort, von den meisten aber werden Videos eingespielt, die auch schon auf der Website zu sehen waren.

Bevor mit Merz’ Rede die Wahlen losgehen, wird aber erst einmal gedankt. Der designierte Vorsitzende dankt dem scheidenden, dieser Noch-Generalsekretär Paul Ziemiak, der ebenfalls abgelöst wird. Und umgekehrt. Böse Worte, Spitzen, vergiftete Lobeshymnen, die man im vergangenen Jahr in der Union so häufig hörte? Fehlen fast vollständig. Ziemiak dankt auch der ehemaligen Kanzlerin. Angela Merkel ist auf dem Parteitag selbst nicht präsent. Eine Einladung von Merz für ein Abendessen am Abend hat sie abgelehnt.

Jens Spahn wird abgestraft

Merz schlägt, wie zuvor verkündet, [3][Mario Czaja als neuen Generalsekretär] vor. Czaja, 46, war früher in Berlin Sozialsenator, bei der Bundestagswahl hat er der Linkspartei das Direktmandat im Bezirk Marzahn-Hellersdorf abgenommen. Er wird mit fast 93 Prozent der Stimmen gewählt. Der Posten des stellvertretenden Generalsekretärs dagegen, den Merz neu schaffen und mit einer Frau besetzen will, lässt noch auf sich warten. Dafür müsste die Satzung geändert werden, was nur auf einem Präsenzparteitag möglich ist. Erstmal ist die oberste Parteispitze der CDU also rein männlich besetzt.

Gewählt werden dann fünf stellvertretende Parteivorsitzende. Die meisten Kandidaturen sind gut abgesprochen, auch hier sollen die Zeichen auf Neuanfang stehen. Von den Vizes war zuvor nur Silvia Breher im Amt, die familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion aus Niedersachsen. Das Spektrum reicht vom ehemaligen Chef des Wirtschaftsflügels Carsten Linnemann bis zur schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien. Linnemann soll künftig die Grundsatzkommission leiten, dadurch könnte er einflussreicher werden als die vier anderen. Als stellvertretende Parteichefs werden auch Andreas Jung, der Klimaexperte der Unionsfraktion, und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer gewählt, der von den fünf das beste Ergebnis erzielt. Bundesschatzmeisterin wird die ehemalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die Landeschefin in Rheinland-Pfalz ist.

Zwischendurch ist CSU-Chef Markus Söder auf dem Bildschirm zu sehen, der im heimischen Nürnberg vor einer blauen Wand sitzt. Er gibt sich konziliant. Ein Ergebnis von 94,5 Prozent, sagt Söder, sei ein „dickes Pfund“, das er selbst auch gern mal gehabt hätte. Dann bereut er den Streit im vergangenen Jahr und gelobt Besserung. Streit könnte Merz mit Ralph Brinkhaus bevorstehen, dem Vorsitzenden der Unionsbundestagsfraktion, dessen Posten der neue Parteichef möglicherweise selbst besetzen will. Auch Brinkhaus wird zu einem Grußwort eingeblendet und betont gleich zu Beginn, wie wichtig der Schulterschluss von Partei und Fraktion sei. Als er dann eine Attacke auf Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ampel reitet, drängt sich der Eindruck auf, dass Brinkhaus auch jetzt nicht daran denkt, sich so einfach abräumen zu lassen.

Für die weiteren Posten im Präsidium, der engeren Parteispitze, gibt es auf sieben Posten acht Kandidat:innen und damit die erste Kampfkandidatur. Ihr fällt ausgerechnet die [4][Bundesvorsitzende der FrauenUnion, Annette Widmann-Mauz, zum Opfer]. Das könnte auch daran liegen, dass die Junge Union mit Ronja Kemmer eine zweite Frau aus Baden-Württemberg für das Präsidium nominiert hat. Allerdings hatte Widmann-Mauz bereits beim letzten Mal das schlechteste Ergebnis der gewählten Präsidiumsmitglieder. Dies fährt dieses Mal Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn ein. Das beste erzielt Karl-Josef Laumann, der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels.

Dann stehen die Wahlen für die weiteren 26 Posten des CDU-Bundesvorstands auf der Tagesordnung. Am Ende kann Merz verkünden, dass die Parteispitze nun stark verändert, zudem weiblicher und im Schnitt jünger ist als zuvor. Alle Wahlen müssen nun noch einmal schriftlich bestätigt werden, das endgültige Ergebnis soll am 31. Januar verkündet werden. Erst dann kann sich Merz offiziell CDU-Chef nennen.

22 Jan 2022

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Sabine am Orde

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