taz.de -- Architektur der Moderne in Berlin: Blick in beide Richtungen

Eine Ausstellung im Mitte Museum zeigt die architektonischen Visionen der Moderne im Osten und Westen Berlins – und wie diese heute bewohnt werden.
Bild: Gute Aussicht aus dem „QP-61-Wohngebäude, Mollstraße, KMA II – #2“ (2022)

„Vor die beiden jüngst in der Stalinallee gebauten, architektonisch sehr unschönen Häuser könnte man in der Linie der Straßenfront Reihen von 30- bis 40-jährigen Bäumen pflanzen, die die schlechte Architektur unsichtbar machen“, schreibt der Moskauer Chefarchitekt Alexander Wlassow am 23.12.1951 im SED-Organ „Neues Deutschland“.

Eine ganze Seite widmet das ND dem architektonischen Prestigeobjekt. Unter der ins Detail gehenden Kritik, so findet Wlassow „die Gestaltung der Erdgeschosse trocken und uninteressant“, ist der Entwurf einer Fassade des Kollektivs Paulich abgedruckt.

Daneben stellt das [1][Mitte Museum] Postkarten mit filigranen Zeichnungen der geplanten Wohnblöcke aus, die unter der Losung „Wer so baut, will den Frieden“ ab 1952 in der DDR als Werbemittel für das nationale Aufbauprogramm eingesetzt werden. Das dritte spannende Zeitdokument der Ausstellung „Duett der Moderne“ ist ein von Karl-Heinz Wirth aus der Vogelperspektive gezeichneter Plan, der Berlins baulichen Zustand vom Hansaviertel bis zum Ernst-Reuter-Platz 1957 detailliert dokumentiert.

Im Vorfeld der im selben Jahr stattfindenden Interbau, in der [2][die von internationalen Architekten gestaltete Neubebauung des Hansaviertels] der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, gab es 14 Enteignungsverfahren, informiert der Begleittext und zitiert dabei den damaligen Westberliner Bausenator Karl Mahler: „Die Interbau ist ein klares Bekenntnis zur westlichen Welt. Sie soll zeigen, was wir unter modernem Städtebau verstehen, im Gegensatz zum falschen Prunk der Stalinallee.“

Fotografien von Bettina Cohnen

Damit ist das Spannungsfeld der Ausstellung „Duett der Moderne“ im Mitte Museum umrissen. Ihr Ausgangspunkt sind Fotografien von Bettina Cohnen, die sie seit 2022 im Hansaviertel und an der Karl-Marx-Allee gemacht hat. Großformatige Abzüge öffnen in der Schau den Blick in acht Wohnungen der zwei Viertel.

Zu jeder Wohnung gibt es eine Info-Karte, die das Gebäude architekturhistorisch einordnet, detailliert beschreibt und als Grundriss zeigt. So steht das 1952 von Hermann Henselmann entworfene Hochhaus an der Weberwiese mit seiner repräsentativen Strenge und Monumentalität exemplarisch für den sozialistischen Klassizismus, während Oscar Niemeyers siebenstöckiges Gebäude an der Altonaer Straße sich auf eine scheinbar schwebende Konstruktion von V-förmigen Betonpfeilern stützt und so ein offenes Erdgeschoß propagiert.

Der Impuls der Ausstellungskuratoren Hendrik Bohle und Jan Dimog von „The Link“, einem Büro für Architektur- und Baukulturvermittlung, die architektonischen Meisterleistungen am Ostberliner Prachtboulevard und am Hansaplatz zusammen zu würdigen, geht auf. Weil man genau beschreibt, behutsam einordnet und sich gleichzeitig anschaut, wie sie jetzt genutzt werden.

Schaut man mit dem Blick der Fotografin Bettina Cohnen in die Wohnung im Hochhaus an der Weberwiese und sieht sich die acht Fotos an, dann bleibt das Auge erst mal an vielen Details hängen. Wie dem Fahrrad, das an der Wand hängt. Dann aber fällt das hohe Fenster auf, das viel Licht in die Wohnung lässt.

Menschen in ihrer Bewegung

Cohnen geht es um das konkrete Leben in den Wohnungen. So fotografiert sie dort erst, nachdem sie die BewohnerInnen kennengelernt hat – die sind dann auch vor Ort und kommen immer wieder mit aufs Bild. Nicht wenige Bilder, die mit einer analogen Kamera aufgenommen wurden, haben etwas bewusst Flüchtiges. Menschen werden in ihrer Bewegung aufgenommen, im Gegensatz zur Statik der Architektur.

So fotografiert Cohnen im Wohnzimmer des Mehrfamilienhauses (Architekt: Paul Schneider-Esleben) in der Klopstockstraße durch das große Panoramafenster den kleinen Garten und die, die sich dort aufhalten.

Das Hansaviertel wurde fast vollständig durch Luftangriffe zerstört. „Duett der Moderne“ zeigt auch einige der ab 1947 entstandenen Fotos: Eine Bestandsaufnahme des Bezirks Tiergarten. Für uns heute ist es die Möglichkeit, den Grad der Zerstörung zu erfassen. Am Weg zum Oscar-Niemeyer-Haus stand bis 1943 das Haus Altonaer Straße 6. Heute erinnert hier ein Stolperstein an die Familie Holländer, die 1938 von hier in die Niederlande floh und 1944 von dort ins Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert wurde.

15 Apr 2025

LINKS

[1] /Berliner-Kultur-von-Kuerzungen-bedroht/!6054078
[2] /Hansaviertel-in-Berlin-wird-60-Jahre-alt/!5422425

AUTOREN

Katja Kollmann

TAGS

Ausstellung
Berlin Ausstellung
Fotografie
Architektur
Hansaviertel
Berlin
Karl-Marx-Allee
Architektur
Schwerpunkt Utopie nach Corona
Albanien
Architektur

ARTIKEL ZUM THEMA

Wiederaufbau in Ost und West: Kalter Krieg der Architekten

International wie beim Bauhaus? Oder Zuckerbäckerstil wie in Moskau? Eine sehenswerte Ausstellung zeigt nun, wie Ost und West um die Wette bauten.

Ausgabe Arch+ zu Monumentalarchitektur: Kultische Betongiganten

„Arch+“ widmet die neue Ausgabe einer anderen Architektur der Moderne, die dem Dogma des Funktionalismus Megabauten für das Kollektiv entgegenstellt.

Buch über Kindheit in der DDR: Erinnerung, gespiegelt im Normmaß

Wenke Seemann geht in ihrem Buch „Utopie auf Platte“ zurück in die Großsiedlung ihrer Rostocker Kindheit. Sie sucht mit der Postmoderne die DDR-Moderne.

Künstlerresidenzen in Hoxha-Villa: Die Badezimmerkacheln des Diktators

Die Villa von Enver Hoxha blieb in Albanien lange verschlossen. Doch 40 Jahre nach dessen Tod werden nun Künstler in die Residenz einziehen.

Architekturausstellung in Berlin: Durch den Raum laufen, den es nicht gibt

Der US-Architekt Steven Holl entwarf fulminante Bauten. Die Tchoban Foundation zeigt nun in der Ausstellung „Drawing as Thought“ seine Zeichnungen.