taz.de -- Nahost-Konflikt und Meinungsfreiheit: Junge Demonstrantin in zweiter Instanz freigesprochen

Ist die Frage „Haben wir nichts aus dem Holocaust gelernt?“ auch erlaubt, wenn es um Gaza geht? Für das Berliner Landgericht ist sie das.
Bild: Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, am 7. Oktober 2025

Berlin taz | Die Frage „Haben wir nichts aus dem Holocaust gelernt?“ ist nicht strafbar – auch nicht mit Blick auf den Krieg in Gaza. Das hat das Landgericht Tiergarten in Berlin am Mittwoch entschieden. In der ersten Instanz war eine Angeklagte dafür wegen Volksverhetzung noch zu einer Strafe von insgesamt 1.500 Euro verurteilt worden. Gegen das Urteil ging sie in Berufung – und wurde nun freigesprochen.

Die junge Berlinerin hatte sich im November 2023 mit zwei großen Schildern vor das Paul-Löbe-Haus in Berlin gestellt. Dort haben viele Bundestagsabgeordnete ihre Büros. Auf dem einen Schild stand „Nein zur Ermordung von 8.500 Zivilisten“. Auf einem anderen Schild stand die Frage, die ihr zum Verhängnis wurde.

Die Polizei nahm ihr die beiden Schilder ab und stellte sie sicher, außerdem stellte sie eine Strafanzeige. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten sah in den Aussagen auf den Schildern eine Verharmlosung des Holocausts und [1][verurteilte die Angeklagte dafür im Juni 2025 zu einer Geldstrafe]. Auch die Kosten des Verfahrens sollte sie tragen.

Bei der Berufungsverhandlung blieb die zuständige Staatsanwältin bei ihrer Ansicht, die rhetorische Frage stelle eine Gleichsetzung des Holocausts mit dem Geschehen in Gaza dar und damit eine Bagatellisierung.

Das Landgericht sah das anders. Erstens handele es sich um eine rhetorische Frage oder einen Appell, der den Holocaust als negative historische Folie nehme. Von einer Leugnung oder Billigung könne daher keine Rede sein, sie habe den deutschen Völkermord auch nicht relativiert. Zweitens stellte es fest: Selbst wenn man darin eine Relativierung sähe, sei die Aussage nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Das aber sei nötig, um einen Eingriff in die Meinungsfreiheit zu rechtfertigen.

9 Oct 2025

LINKS

[1] /Urteil-zu-Gaza-Protest/!6094024

AUTOREN

Daniel Bax

TAGS

Polizei Berlin
Demonstration
Prozess
Gaza
Landgericht
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
7. Oktober 2023

ARTIKEL ZUM THEMA

Pali-Proteste in Berlin: Demo-Verbot folgt auf Glorifizierung

Bei einer Straßenblockade wird palästinensischen Kämpfern gehuldigt. Eine Kundgebung am Abend hat die Versammlungsbehörde verboten.

Nahost-Konflikt in Berlin: Mit harter Hand

Die Berliner Justiz ächzt unter der Zahl der Strafverfahren mit Nahost-Bezug. Doch viele Vorwürfe entpuppen sich vor Gericht als nicht haltbar.

Krieg im Gazastreifen: Die unerträgliche Bequemlichkeit der einseitigen Solidarität

Der Protest gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen wird in Deutschland immer lauter. Gleichzeitig nehmen antisemitische Übergriffe massiv zu.