taz.de -- Kinder fragen, die taz antwortet: Wann ist denn wieder gestern?

Wir wollen von Kindern wissen, welche Fragen sie beschäftigen. Jede Woche beantworten wir eine. Diese Frage kommt von Anna, 4 Jahre alt.
Bild: Wenn man morgens aufwacht, ist das, was gestern morgen war, heute gestern

Liebe Anna, das ist eine sehr schöne Frage. Eine kluge und eine schwierige. Sie betrifft nämlich die Zeit – und die [1][ist ein kompliziertes Ding]. Eins, das ich immer schlechter verstehe, je mehr ich drüber nachdenke.

Es ist aber ein bisschen beruhigend, dass es vielen Menschen so zu gehen scheint. Auch Philosophen – so nennt man Menschen, die über [2][die großen Fragen der Welt] nachdenken. Einer von denen, Augustinus von Hippo hat sogar schon vor mehr als 1.500 Jahren geschrieben: „Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich’s, will ich’s aber einem Fragenden erklären, weiß ich’s nicht.“

Ich will mal versuchen, es zu erklären. Heute ist „gestern“ gestern. Morgen ist „gestern“ heute. Und übermorgen ist „gestern“ morgen. Das ist die kurze Antwort, die sehr verwirrend und auch ein bisschen lustig klingt. Fast wie ein Zungenbrecher. Ganz genau genommen ist gestern immer und nie. Denn es bezeichnet immer den Tag vor dem heutigen Tag. Es gibt also jeden Tag ein neues Gestern – das dann gleichzeitig auch immer schon vorbei ist.

Ein schönes Heute, ein schönes Gestern

„Gestern“ ist also nicht der Name eines Wochentags, wie „Montag“, „Dienstag“, „Mittwoch“ oder ein anderer der insgesamt sieben, die es gibt. Nein, das Gestern wandert mit uns mit. Jeden Tag. Es bedeutet immer das gleiche und doch immer etwas anderes. Denn jeder vorangegangene Tag ist ja verschieden.

Weil wir die Zeit nicht zurückdrehen können, kann es leider nie wieder das gleiche Gestern geben. Wir können immer nur neue Gesterns erleben. Und uns an [3][einem schönen Heute] auch schon drauf freuen: dass es morgen ein schönes Gestern sein wird und wir uns für immer dran erinnern können. Auch wenn es dann vorgestern ist. Oder vorvorgestern. Oder vorvorvorgestern. Wenn heute aber doof ist, dann vergessen wir es einfach: Schnee von gestern!, sagen die Erwachsenen dann auch gerne. Das meint alten schnodderigen [4][Schnee, der schon weggeschmolzen ist.]

Am lustigsten wird es, wenn man sehr lange wach bleibt. Um Mitternacht spielen die Tage so was wie Stuhltanz. Heute springt auf den Gestern-Stuhl, morgen hüpft auf den Heute-Stuhl, und übermorgen landet auf dem Morgen-Stuhl. Wenn man dann noch wach ist, Silvester zum Beispiel, und dann nach Mitternacht jemand von gestern, heute oder morgen spricht, sind alle immer restlos verwirrt.

Wenn man währenddessen schläft, ist das alles klarer. Deshalb finde ich: Gestern ist der Tag, bevor man geschlafen hat. Aber Mittagsschlaf zählt nicht. Nur richtig schöner, dicker, tiefer, dunkelblauer Schlaf.

9 Aug 2025

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AUTOREN

Hilka Dirks

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