taz.de -- Stadtentwicklung in Hannover: Tech-Szene kriegt Premium-Platz

Auf dem Klinik-Gelände in Hannover-Nordstadt soll ein Start-up-Campus entstehen. Die Nachbarn fühlen sich übergangen und fürchten steigende Mieten.
Bild: Rund ums graue Dach wollen manche es schick: Hier hatte die Sanitärgroßhandlung Bumke ihren Sitz, der Name ist hängengeblieben

Hannover taz | Mit den Plänen für ein Start-up-Zentrum auf dem Gelände des Krankenhauses in Hannover-Nordstadt bringen Uni und Region die Bewohner*innen des Stadtteils gegen sich auf. Seit der Sanierung der Nordstadt in den 1980er- und 1990er-Jahren steigen dort die Mieten und Entmietungen gehören zum Alltag. Die Nachbarschaftsinitiative „Bumke selber machen“ warnt nun davor, dass das Projekt eines Tech-Campus diese Gentrifizierungstendenz noch verstärken könnte.

Auf dem von der Universität und der Region verantworteten Tech-Campus sollen Start-up-Gründer*innen ihre Ideen umsetzen können. Weil am Nordstädter Krankenhaus einiges in Bewegung ist, wird das Klinikum künftig zehn der 27 Gebäude freigeben und teilweise an einen anderen Standort umziehen.

Kim Pollermann von der [1][Initiative „Bumke selber machen“], der selbst seit mehr als 20 Jahren in der Nordstadt lebt, spricht angesichts der Pläne von „absoluter Arroganz“. Im Viertel gebe es ein klares Problem mit fehlendem Wohnraum und steigenden Mieten. „Es ist unverständlich, dass man noch einen weiteren möglichen Treiber für diese Entwicklung installieren will, ohne überhaupt nachzufragen, was die Menschen vor Ort brauchen oder wollen.“

Angeschoben hat das Projekt Ulf-Briger Franz (SPD), Wirtschaftsdezernent der Region [2][Hannover]. Weil die Region vor einem Umbruch stehe und Jobs in der [3][Automobilindustrie] wegfallen werden, müsse man „neue Stärken entwickeln“, sagt Franz im Gespräch mit der taz. Teams aus den umliegenden Instituten der Naturwissenschaften, Informatik und Elektrotechnik sollen für ihre Gründungsabsichten Räume im Start-up-Park nutzen können. Auch Coachings zum Thema Gründung seien geplant.

Anwohner*innen fürchten Gentrifizierung

„Studentisches Wohnen ist ein zentrales Anliegen“, sagt Franz. Die geplanten Wohnungen sollen „extrem günstig“ und in öffentlicher Trägerschaft bleiben. Und wirtschaftsfördernde Aktivitäten wolle man schon durch Einnahmen durch die Vermietung von Büroflächen sicherstellen.

Den Vorwurf, hier drohe [4][Gentrifizierung], hält Franz für „Quatsch“. Schon jetzt markiere das Krankenhaus die Grenze zu einem hochpreisigen Teil des Stadtteils. Die Pläne des Tech-Campus führten aus seiner Sicht eher zu einer „Entwertung“ dieser Lage. Zudem soll es ein gastronomisches Angebot geben, das für alle offensteht. Man stehe noch am Anfang des Projekts, sagt Franz. Eine Beteiligung von Bewohner*innen werde es natürlich später noch geben.

Wem gehört die Stadt und wie wird über sie verhandelt? Das sind Fragen, mit denen sich Tatjana Schneider, Professorin für Architekturtheorie an der TU Braunschweig, ständig beschäftigt. Bei dem Projekt in der Nordstadt könne man gut sehen, wie Verantwortliche in typische Handlungsmuster verfallen, sagt sie.

Dass die Initiative „Bumke selber machen“ sich bislang außen vor gelassen fühle, wertet Schneider als Zeichen dafür, dass die Anbindung an den Stadtteil bislang kaum mitgedacht wurde. Auf eine breitere Einbindung der betroffenen Nachbarschaft werde offenbar verzichtet, sagt sie. Das sei kein guter Start.

Grüne beantragen Befragung

„Man entwickelt Ideen nach innen – ohne nach außen zu schauen und den Stadtteil mit seinen Herausforderungen und möglichen Schnittstellen einzubeziehen.“ Außerdem werde hier nur eine bestimmte Klientel angesprochen. „Wer hat noch Geld dafür, permanent zum Mittagstisch zu gehen?“, fragt Schneider. Cafés und Restaurants könne sich eben längst nicht mehr jeder leisten. Räume für alle sollten konsumfrei nutzbar sein, so ihre Forderung.

Auch auf Bezirksebene ist der Tech-Campus mittlerweile ein Thema: Die Grünen-Fraktion brachte im Bezirksrat einen Antrag ein, der eine Befragung von Anwohner*innen zur Nutzung des Geländes vorsieht. Ziel des Antrags ist es laut Bezirksbürgermeister Florian Beyer (Grüne), „wirklich die Menschen einzubinden“ und ihre Vorstellungen für das Areal zu erfragen.

Da das Grundstück der Region gehört, werde zwar keine Einflussnahme möglich sein, doch man erhoffe sich Rüstzeug für eine „gute argumentative Ausgangsbasis“ gegenüber den Projekthaber*innen. Ob es zu einer Bürger*innenbeteiligung kommt und in welcher Form, soll am 25. August der Rat entscheiden.

3 Jul 2025

LINKS

[1] https://www.facebook.com/bumkeselbermachen/?locale=de_DE
[2] /Portrait-der-unterschaetzten-Stadt-Hannover/!5882571
[3] /VW-Vorstand-droht-mit-Werksschliessungen/!6042572
[4] /Gentrifizierung/!t5008845

AUTOREN

Katja Spigiel

TAGS

Hannover
Start-Up
Stadtentwicklung
Gentrifizierung
Bürgerbeteiligung
Social-Auswahl
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
Landtagswahl in Niedersachsen

ARTIKEL ZUM THEMA

Gewalt gegen Wohnprojekte: Der Nazi-Nachwuchs

Wie überall machen sich in der ehemaligen Punker-Hochburg Hannover rechte Jugendbanden breit. Die Machtverhältnisse verschieben sich.

Bedrohter Punkertreff in Hannover: Wieder mal No future

Die Kopernikus entstand nach den Chaostagen der 90er. Erstaunlicherweise gibt es den Treff immer noch, nun droht das Aus für den sehr speziellen Ort.

Portrait der unterschätzten Stadt Hannover: Eigentlich doch ganz okay hier

Hannover, Landeshauptstadt, Stadt ohne Stadtslogan, ist besser, als viele denken. Es hat sogar den Nachkriegsbauwahn überlebt.