taz.de -- Friedrich Merz' Kanzlerwahl: Bauchklatscher mit Ansage

Nach der bitteren Niederlage am Morgen ist die Kanzlerwahl für Merz im zweiten Durchgang gerade noch mal gut gegangen – aber zu welchem Preis?
Bild: So sehen Sieger aus: Friedrich Merz nach seiner Wahl zum Bundeskanzler im zweiten Wahlgang

Alles war vorbereitet: Glückwünsche, Schnittchen, Urkunden. An diesem Dienstag sollte Friedrich Merz [1][zum Kanzler gewählt werden]. Und scheiterte im ersten Anlauf. Das war historisch. Genauso wie das, was darauf folgte. Um den zweiten Wahlgang am Nachmittag zu ermöglichen, brachten Union, SPD, Grüne und Linke zum ersten Mal einen gemeinsamen Geschäftsordnungsantrag ein. Im zweiten Wahlgang erhielt Merz die erforderliche absolute Mehrheit. Uff, gerade noch mal gut gegangen. Aber zu welchem Preis?

Kritisch gesagt: Um endlich an die Macht, sprich ins Kanzleramt zu gelangen, war Merz bereit, mit einem weiteren christdemokratischen Tabu zu brechen, und hat [2][erstmals gemeinsame Sache mit der Linkspartei gemacht.] Oder positiv gewendet: Damit die Brandmauer zur AfD hält, hat die Union ihre ideologische Brandmauer zur Linken kurzerhand niedergerissen, und die demokratischen Parteien haben gemeinsam einen Weg gefunden, einen Kanzler ohne rechtsextreme Stimmen zu wählen.

Genau wird man wohl nie wissen, wer Merz gewählt und wer ihm in der eigenen Koalition die Gefolgschaft verweigert hat. So oder so: Dieser Dienstag war keine Sternstunde für Merz, vielmehr ein schmerzhafter Bauchklatscher – für den Merz selbst Anlauf genommen hat.

In seiner dirigistischen Art – [3][„Ich gucke nicht rechts, nicht links, nur geradeaus“] – hat er immer wieder vollmundige Ankündigungen in den Raum gestellt, die er anschließend kleinlaut wieder zurücknehmen musste. Ob in der Migrationspolitik, wo er ein „faktisches Einreiseverbot“ ankündigte. Oder als er eine Wirtschaftswende versprach, mit großzügigen Steuerentlastungen per Gießkanne.

Reihenweise Enttäuschungen

Zudem suggerierte er, 100 Milliarden Euro ließen sich mal eben bei Bürgergeldempfänger:innen und Migrant:innen einsparen – den Rest regle der Markt. So mogelte sich Merz durch den Wahlkampf und an die Macht. Dabei produzierte er reihenweise Enttäuschungen bei jenen Mitgliedern und Wähler:innen der Union, die dem einstigen Aufsichtsrat glaubten, man müsse einfache Lösungen nur straff genug durchpauken, um erfolgreich zu sein. Seine verkorkste Wahl zum Kanzler hat gezeigt: Mehrheiten lassen sich nicht verordnen. Wer ständig polarisiert, darf nicht erwarten, dass ihn alle tragen, wenn er es braucht.

[4][Merz' Kanzlerschaft] und seine Regierung stehen nun unter verschärfter Beobachtung: Schafft es Schwarz-Rot so zu regieren, dass wieder mehr Menschen Vertrauen in den Staat und seine Handlungsfähigkeit fassen, statt auf die Parolen der Populisten reinzufallen? Oder macht Schwarz-Rot so weiter, wie die Ampel endete: chaotisch?

6 May 2025

LINKS

[1] /Regierungsbildung/!t6075734
[2] /Unvereinbarkeitsbeschluss-der-CDU/!6031425
[3] /Rechtsdrift-der-Union/!6064676
[4] /-Liveticker-zur-Kanzlerwahl-/!6086504

AUTOREN

Anna Lehmann

TAGS

Friedrich Merz
Lars Klingbeil
Bundeskanzler
Schwarz-rote Koalition
Bundestag
Regierungsbildung
GNS
Lars Klingbeil
Wir retten die Welt
Bundeskanzler
CDU/CSU
Friedrich Merz
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Friedrich Merz
Regierungsbildung
Regierungsbildung
Regierungsbildung

ARTIKEL ZUM THEMA

Stolperstart der schwarz-roten Koalition: Eine links-grüne Blockade würde nur der AfD nützen

Die Merz-Regierung wird weiter auf Grüne und Linke angewiesen sein. Sie müssen die Chance strategisch nutzen, ohne sich erpressen zu lassen.

Neue Bundesregierung um Friedrich Merz: Normal schlägt Zeitenwende

Merz' Regierungsprogramm zeigt, dass er und die Union ganz Grundsätzliches nicht verstanden haben – die Klimakrise zum Beispiel.

Kanzlerwahl mit zwei Wahlgängen: Sensation: Abgeordnete sind auch Menschen

Die Aufregung über die Merz-Wahl ist völlig übertrieben. Man nennt es parlamentarische Demokratie – und Abgeordnete sind keine Parteisoldaten.

ZDF-Dokumentation „Inside CDU“: Nah bei Friedrich Merz, fern von der bitteren Realität

Die ZDF-Doku „Inside CDU“ begleitet Unions-Politiker:innen im Wahlkampf. Kann sie uns etwas über Merz’ Fehlstart bei der Kanzlerwahl verraten?

Sauerländer Friedrich Merz: Der Mann aus Arnsberg

Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz weiß nicht, wie Menschen leben, die nicht so viel haben wie er oder die eine Migrationsgeschichte haben. Wie soll er das Land führen?

Antrittsbesuch in Frankreich: Merz will über europäische nukleare Abschreckung reden

Der neue Kanzler besucht Paris. Merz will die Beziehung zu Frankreich stärken – und zeigt sich offen gegenüber einer Ausweitung des nuklearen Schutzschirms.

EU-Reaktionen auf die Merz-Wahl: Und dann passiert – nichts

In Brüssel sorgt die Wahl des neuen Kanzlers kaum für Aufregung. Nur seine Parteifreundin von der Leyen jubelt. Die Wunschliste der EU an Merz aber ist lang.

Nach der Wahl zum Bundeskanzler: Merz kritisiert US-Regierung für „absurdes“ Deutschlandbild

Trumps Regierung solle sich in puncto AfD aus der deutschen Innenpolitik „heraushalten“, fordert Kanzler Merz. Bei AfD-Verbot bleibt er zurückhaltend.

+++ Liveticker zur Kanzlerwahl +++: Friedrich Merz doch noch Kanzler

Im ersten Wahlgang hatte Friedrich Merz die nötige Mehrheit verfehlt. Nun wählt ihn der Bundestag im zweiten Anlauf zum neuen Bundeskanzler.

Kanzlerwahl im Bundestag: Letzte Hürde für Schwarz-Rot und einen Kanzler Merz

CDU-Chef Merz will sich an diesem Morgen im Bundestag zum zehnten Bundeskanzler wählen lassen. Die Mehrheit von Union und SPD ist aber äußerst knapp.