taz.de -- Neuverfilmung von „Richard III.“: Mit messerscharfer Sprache
In „Kein Tier. So Wild“ (Berlinale Special) gibt Burhan Qurbani „Richard III.“ eine weibliche Hauptfigur. Über Shakespeare unter Berliner Banden.
Ob man [1][Shakespeares „Richard III.“] wirklich noch einmal neu interpretieren muss, gehört zu den geistlosesten Fragen, die man sich zu „Kein Tier. So Wild.“ stellen kann. Nicht weniger müßig ist die Frage danach, ob eine solche Neuinterpretation denn ins Kino gehört und nicht auf eine Theaterbühne. Denn der kreative Furor, mit dem sich [2][Burhan Qurbani] den klassischen Stoff zu eigen macht, ist schlicht beeindruckend.
Der Film „Kein Tier. So Wild.“ ist eine einnehmende Symbiose aus der zeitlosen Kraft des Originals und unmittelbar Gegenwärtigem. Statt verfeindeter Adelshäuser stehen sich zwei kriminelle Banden in Berlin gegenüber, die weiterhin die Namen „York“ und „Lancester“ tragen.
Der Reiz, die Geschichte in die Unterwelt der Hauptstadt zu transferieren und zugleich an der Shakespeare’schen Gravitas festzuhalten, offenbart sich vor allem in der Hauptfigur, die Anfang, Zentrum und Schlusspunkt allen Geschehens ist: Aus „Richard III.“ wird Rashida ([3][Kenda Hmeidan]) und damit: eine Frau mit Migrationsgeschichte.
Sie ist Anwältin und die jüngste Tochter aus dem Hause York. Den uralten Machtkampf mit den Lancasters beendet sie nicht im Gerichtssaal, sondern durch ein Auftragsattentat auf die Oberhäupter der verfeindeten Familie.
Hadern mit dem Spiegelbild
Ihr Bruder (Mehdi Nebbou) ruft daraufhin den langersehnten Frieden aus, doch Rashida ist längst nicht an ihrem Ziel angekommen. „Betrogen von Geburt um jeden Vorteil, verformt, unfertig …,“ zischt sie ihrem Spiegelbild noch auf dem Fest entgegen, das die Versöhnung besiegeln soll. Rashida begehrt gegen die weibliche Unterwerfung auf, die man von ihr erwartet. Sie will die Macht, die man ihr schon aufgrund ihres Geschlechts verwehrt.
Und sie holt sie sich, durch blutige Intrigen und Morde, denen nach und nach auch ihre eigenen Familienmitglieder zum Opfer fallen.
Das wahre Ereignis in „Kein Tier. So Wild.“ sind aber nicht die Komplotte – sondern die Worte, die das sinistre Geschehen beschwören und bedeuten. Autorin [4][Enis Maci] hat für Qurbani eine Sprache entwickelt, die beinahe musikalisch anmutet. Alles hat einen Rhythmus, der schnell einen ganz eigenen Sog entwickelt. Vor allem Kenda Hmeidan macht aus ihren Monologen vibrierende Manifestationen ihrer Macht und verleiht ihren inbrünstigen Wortgefechten eine mitreißende Dringlichkeit.
Am leidenschaftlichsten duelliert sich Rashida sprachlich mit Ghanima Lancaster (Mona Zarreh Hoshyari Khah): Sie begehrt die Frau, die sie gerade erst zur Witwe gemacht hat, und Qurbani erhebt die elektrisierende Dynamik zwischen ihnen zu einer zweiten Achse des Films. Ansonsten folgt die Handlung, mal vor reduziertem Szenenbild aus Sand und schwerem Beton, dann wieder vor Samt und Neon, den bekannten Linien.
Rashida steigt mit jedem gefallenen Gegner weiter auf, eine loyal ergebene Gehilfin (Hiam Abbass) ebnet ihr den Weg. Doch als Rashida ihren Gipfel erreicht, gerät der Film ins Stocken, verliert in ihrem Absturz an Fahrt. Vielleicht, weil Rashidas Skrupellosigkeit ohne Grenzen bleibt und ihr Schicksal damit vorgezeichnet ist: „Das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung … Ich kenne keins und bin daher kein Tier,“ heißt es bekanntlich. Doch das ist ein kleines Opfer für einen Film, in dem eine wuchtige Vision zum hypnotischen Kinoereignis wird.
19 Feb 2025
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