taz.de -- Überraschung bei U18-Wahl: Die Linke ist stärkste Kraft
Bei der U18-Wahl stimmten 20,8 Prozent der Jugendlichen für die Linke. Die AfD landet bei nur 15,5 Prozent – hinter SPD und Union.
Berlin taz | 166.443 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben in der vergangenen Woche [1][bei der U18-Wahl] ihre Stimme abgegeben. Nun steht das Ergebnis fest. Stärkste Kraft bei den unter 18-Jährigen ist die Linke mit 20,8 Prozent der Wähler*innenstimmen. Danach folgt die SPD mit 17,9 Prozent. Die Union kommt auf 15,7 Prozent, fast gleichauf liegt die AfD mit 15,5 Prozent. Bündnis 90/Die Grünen erreichen 12,5 Prozent der Stimmen bei den unter 18-Jährigen. Die Tierschutzpartei erhielt 3,8 Prozent, FDP und BSW bilden mit je 3,4 Prozent das Schlusslicht.
2021 sahen die Ergebnisse noch anders aus. Damals waren die Grünen mit 31,8 Prozent noch stärkste Kraft, die SPD kam auf 29 Prozent. Die Linken lagen damals nur bei 11,4 Prozent, vor ihnen lag die FDP. Bei der diesjährigen U18-Wahl wurde die AfD in allen ostdeutschen Bundesländern stärkste Kraft.
Maximilian Lorenz, Referent beim Deutschen Bundesjugendring, haben die Ergebnisse der diesjährigen U18-Wahl überrascht: „Bei der Europawahl haben die Jugendlichen recht ähnlich wie die Erwachsenen abgestimmt, jetzt allerdings hat die Linke sehr viele Stimmen von den Kindern und Jugendlichen bekommen.“
Wahlumfragen unter Erwachsenen sehen die Partei zwar inzwischen bei bis zu 7 Prozent, aber das sind noch immer rund 13 Prozent weniger als bei der U18-Wahl. „Es scheint, dass soziale Themen für junge Menschen eine wichtige Rolle spielen“, sagt Lorenz, „also gute Ausbildung, faire Arbeitsbedingungen und soziale Gerechtigkeit.“ Ein Wahlkampf, der Migration einseitig problematisiere, lasse viele Themen junger Menschen außen vor.
Auch Grundschüler*innen dabei
Die Wahl hat in 1.812 selbstorganisierten Wahllokalen stattgefunden – überall dort, wo junge Menschen und Erwachsene eine Stimmabgabe auf die Beine gestellt haben. Grundsätzlich können alle jungen Menschen unter 18 Jahren an der Wahl teilnehmen. Laut Bundesjugendring machen zwar zum Teil auch Grundschüler*innen mit, der Fokus liege aber auf selbstorganisierten Jugendlichen ab 14 Jahren. Zahlreiche Jugendverbände beteiligten sich an der Organisation der Wahllokale vor Ort – zum Beispiel Jugendfeuerwehren, die Falken oder auch der Bund der Katholischen Jugend.
[2][Repräsentativ ist die U18-Wahl nicht]. „In den Regionen, in denen es starke und ausreichend unterstützte Strukturen in der Jugendarbeit und insbesondere der Jugendverbände und -ringe gibt, können auch mehr Jugendliche an der Abstimmung teilnehmen“, erklärt Lorenz. Unter anderem in Bayern und Nordrhein-Westfalen etwa habe es besonders viele Wahllokale gegeben.
Zudem stellt sich die Frage, welche Jugendlichen mit Zugang zu einem U18-Wahllokal gewählt haben. Ina Weigelt, Jugendforscherin am Deutschen Jugendinstitut, hält es für wahrscheinlich, dass progressiv orientierte Jugendliche, die an die Demokratie glauben und an Politik interessiert sind, eher daran eher teilgenommen hätten als Jugendliche, die der Demokratie gegenüber negativ eingestellt sind.
Dass die Grünen massiv an Stimmen bei den jungen Menschen verloren haben, liegt laut Weigelt auch daran, dass Klima- und Umweltschutz im Wahlkampf und in der gesellschaftlichen Debatte derzeit kaum vorkämen. „Das Wahlverhalten von jungen Menschen ist volatiler als bei Erwachsenen“, erklärt Weigelt. „Sie sind nicht an Parteien gebunden, dafür spielt der Zeitgeist für sie eine größere Rolle.“
Nur einige Tage, bevor die U18-Wahlwoche am 7. Februar begann, hat die Union im Bundestag zusammen mit der AfD gestimmt. Das Thema war medial omnipräsent. Weigelt hat den Eindruck, dass junge Menschen das zum Nachdenken angeregt habe. „Die Rede von Heidi Reichinnek nach der Abstimmung, die viral gegangen ist, hat bestimmt viele junge Menschen bei der Wahl mitgeprägt.“
17 Feb 2025
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