taz.de -- Umgang mit digitaler Abhängigkeit: Nicht sicher, aber immerhin souverän
Digitale Infrastrukturen sind fragiler, als wir denken. Zeit, sich unabhängig zu machen – für mehr digitale Souveränität in unsicheren Zeiten.
Den Untergang auch nur einer Weltordnung mitzuerleben, hätte mir durchaus genügt. Jedoch ist 1989 ff. ja Warnung genug gewesen, dass unveränderlich Geglaubtes, unverrückbare Gewissheiten und ewige Sicherheiten nicht mehr als ein Blatt im Wind sind.
Wenn der einmal zum Sturm sich aufbläht, geht es ganz schnell. Es ist halt ein bisschen viel grad. Die Erinnerung an die eigene Bedeutungslosigkeit vibriert unaufhörlich in der Hosentasche. Die imperiale Neuordnung der Welt kommt als Trommelfeuer schlechter Nachrichten auf jedes Smartphone.
Soweit man noch an Nachrichten glaubt und sich nicht schon völlig den Verschwörungstheorien und der libidinösen Verlockung der Apokalypse ergeben hat. Eine brennende Welt aber ist nicht sexy. Das können all jene bestätigen, die die letzten Jahrzehnte nicht in der mittel- und westeuropäischen Wohlstandsblase verbracht haben.
Was also ist die Lösung für die Polykrise? Für die Beantwortung solcher Fragen beschäftigt jede Zeitung ihre Geo- und sonstigen Politikchecker, die im Wesentlichen davon leben, dass niemand hinterher zurückblättert und ihnen die falschen Vorhersagen um die Ohren haut. „Die Regierung wäre gut beraten …“ Lol. Das hier ist eine Digitalkolumne.
Schmal und dunkel
Ich weiß nicht, wie weit Putin gehen und ob er seine Panzer in vier Wochen noch betanken kann. Ich weiß nicht, ob Merz mit der AfD „nur“ droht oder tatsächlich zeitnah zur Zusammenarbeit bereit ist. Ich weiß nicht, was dann wirklich geschähe (obwohl der Korridor der Möglichkeiten sehr schmal und dunkel ist). Ich weiß nicht, ob Trump einen militärischen Konflikt mit Nato-Staaten in Kauf zu nehmen bereit ist. Ob ihn jemand aufhielte.
Was ich aber weiß, ist, dass es mit gegebenen Unsicherheiten ganz gut wäre, sich unabhängig von zentral gesteuerten, nicht demokratisch kontrollierten digitalen Infrastrukturen zu machen. Denn ich weiß, was passiert, wenn Cloudprodukte großer Internetkonzerne plötzlich (also wirklich von einer Minute auf die nächste!) nicht mehr zur Verfügung stehen. Entweder, weil sie absichtlich vom Anbieter abgeschaltet oder aber von außen attackiert werden.
Ich weiß, was passiert, wenn private wie öffentliche Kommunikation der ganzen Welt mit einem Knopfdruck verändert oder unterbrochen werden. Es ist eben keine Frage der Moral oder der politischen Hygiene, besser dezentrale und unabhängige Infrastruktur zu benutzen. Es ist eine Frage des Selbstschutzes.
[1][Tiktok wird dir nicht einfach so den Zugang zu deinem Publikum verwehren.] Wirklich? Der Zugang zu deinen Office-365-Dokumenten kann nicht unangekündigt gekappt werden. Was macht dich so sicher? [2][Bluesky wird nie so wie Twitter enden. Ach, echt?] – Dein Glaube an die Zukunft ist bewundernswert. Ich fange jetzt bestimmt nicht an, einen Bunker in meinem Garten zu buddeln. Aber ein bisschen Verantwortung für meine ganz individuelle digitale Souveränität, die kann ich übernehmen. Und du auch.
Achja, die Regierung wäre übrigens gut beraten, statt auf Microsoft, [3][Oracle und SAP, mehr auf Open-Source-Lösungen] zu setzen.
3 Mar 2025
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