taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Angriff auf linke Zeitung „Birgün“
Zwei Mitarbeiter der türkischen Zeitung „Birgün“ und der Geschäftsführer wurden festgenommen. Grund war Berichterstattung über einen Generalstaatsanwalt.
Aus Istanbul taz | Eine der wichtigsten [1][linken Zeitungen der Türkei, Birgün], ist Repression gewohnt. Immer wieder werden ihre JournalistInnen vorübergehend festgenommen, immer wieder verhängt die Justiz hohe Geldstrafen, die die Existenz der Zeitung gefährden können. Dass aber gleich drei wichtige Manager des Blattes, darunter der Geschäftsführer, festgenommen werden, ist neu.
Am Samstagabend wurden der Geschäftsführer Yaşar Gökdemir und die beiden für das Onlinegeschäft der Zeitung zuständigen Manager Berkant Gültekin und Uğur Koç von der Polizei vorübergehend in Haft genommen. Es gehe um den Generalstaatsanwalt Akın Gürlek, ist zu hören. Gürlek tut sich in den letzten Monaten als Verfolger der Opposition besonders hervor.
Der Vorwurf an die drei Birgün-Leute: Die Zeitung habe über ein Treffen von Gürlek mit dem Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung Sabah, Abdurrahman Şimşek, berichtet. Dadurch habe sie sowohl den Staatsanwalt als auch den Sabah-Chefredakteur „zur Zielscheibe für Terroristen“ gemacht.
Das Vorgehen gegen Birgün alarmierte am Wochenende die gesamte türkische Medienszene. Es gab massive Proteste zunächst in den sozialen Medien und am Sonntag dann auch vor dem Gericht im Istanbuler Stadtteil Çağlayan, wo die drei Manager dem Haftrichter vorgeführt werden sollten. Hunderte KollegInnen der Birgün-Leute versammelten sich vor dem Gericht, um ihre Solidarität und ihren Protest auszudrücken.
„Wir lassen uns nicht mundtot machen“
İbrahim Aydın der Herausgeber von Birgün, bedankte sich für die Unterstützung und bekräftigte, dass sich die Zeitung durch die Repression nicht einschüchtern lassen werde und ihre Berichterstattung genauso fortsetzen würde wie bisher. „Wir lassen uns nicht mundtot machen“, sagte Aydın.
Auch in der Redaktion gab man sich am Sonntag unbeeindruckt. Während ein Teil der Zeitung vor dem Gericht protestierte, arbeiteten die anderen an der Ausgabe für den kommenden Tag. „Das ist keine speziell gegen Birgün gerichtete Maßnahme“, sagte Politikredakteur Umut Can gegenüber der taz. „Die Repression gegen uns ist Teil einer größeren Kampagne der Regierung gegen die gesamte Opposition.“
Tatsächlich ist Generalstaatsanwalt Akın Gürlek seit Monaten der [2][Dreh- und Angelpunkt einer Justizkampagne], die vor allem auf Ekrem İmamoğlu, Oberbürgermeister von Istanbul und prominentester Gegenspieler von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan zielt.
Chefredakteur von Halk-TV seit zwölf Tagen in Haft
[3][İmamoğlu] wird von Gürlek mit immer neuen Anklagen überzogen. Als JournalistInnen des Senders Halk-TV einen der Vorwürfe gegen ihn nachrecherchierten, wurden sie ebenfalls festgenommen. Der Chefredakteur von Halk-TV sitzt seit nunmehr zwölf Tagen in Haft.
Auch prominente SchauspielerInnen und FilmproduzentInnen, die als RegierungskritikerInnen bekannt sind, wurden in den letzten Wochen festgenommen und teilweise in U-Haft gesteckt. Ganz so schlimm kam es am Sonntagnachmittag für die Birgün-Leute nicht. Ihr Verfahren läuft weiter und sie müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden, aber von der U-Haft bleiben sie einstweilen verschont.
Anders erging es dagegen am Wochenende einer Astrologin. Sie hatte während einer Fernsehshow prophezeit, dass „der, ihr wisst schon, die nächsten Wahlen verlieren werde“. Sie wurde festgenommen und tatsächlich am Sonntagabend in U-Haft gesteckt.
10 Feb 2025
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