taz.de -- Demos gegen rechts am Wochenende: Das Comeback des Jahres
In Dutzenden Städten gingen am Wochenende Menschen für Vielfalt auf die Straße. In Hamburg kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Hamburg/Berlin taz/dpa/lno | Bereits Stunden vor einem Auftritt des AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla haben am Sonntag Proteste gegen Rechtsruck und Rassismus in Hamburg begonnen. Nach Polizeiangaben beteiligten daran sich knapp 3.300 Menschen. Es kam zu mehreren Zwischenfällen.
Wie ein dpa-Reporter beobachtete, gab es Handgreiflichkeiten, als Demonstrant:innen versuchten, eine Absperrung zu überwinden. Die Polizei setzte auch einen Wasserwerfer ein. Zudem benutzten die Beamten mehrfach Pfefferspray, weil Demonstrant:innen versuchten, Menschen am Besuch der Veranstaltung zu hindern.
Die Menschen versammelten sich rund um die Friedrich-Ebert-Halle im Stadtteil Heimfeld, wo Chrupalla am späten Nachmittag beim Wahlkampfauftakt der Hamburger AfD sprechen sollte. Auf Plakaten war „Nie wieder ist jetzt“ oder „Wir sind die Brandmauer“ zu lesen. „Fuck AfD“ stand in großen Lettern auf einer Mauer des Friedrich-Ebert-Gymnasiums, dem die Halle als Aula dient. „Unsere Schule ist bunt“ stand auf einem Banner. Auch an anderen Orten wie Bielefeld, Freilassing oder Schweinfurt demonstrierten Menschen am Sonntag gegen den Rechtsruck im Land.
Die meisten Menschen waren an diesem Wochenende bereits am Samstag auf der Straße. Laut Polizei haben sich in Berlin mehr als 30.000 Menschen versammelt – die Veranstaltenden sprechen von 100.000. In Köln versammelten sich mindestens 40.000 Menschen. Bundesweit haben so bis zu 200.000 Menschen für Vielfalt und gegen Rechtsextremismus demonstriert, insbesondere gegen die extrem rechte AfD.
Mindestens 40.000 Menschen in Köln
Christoph Bautz spricht am Samstag in Berlin aus, was viele an diesem Wochenende mobilisiert hat: „Wenn Friedrich Merz in den kommenden Tagen gezielt gemeinsame Mehrheiten mit der AfD sucht, werden wir nächste Woche wieder hier sein“. Vor Zehntausenden Menschen am Brandenburger Tor in der Hauptstadt fordert er eine wehrhafte Demokratie und eine stabile Brandmauer. Die Menschen skandieren „Wir sind die Brandmauer“.
Explizit ging es auch gegen einen Rechtsruck in der CDU, deren Parteichef Friedrich Merz erst vergangene Woche ankündigte, er würde für ein Migrationsgesetz auch [1][Stimmen aus der extrem rechten AfD in Kauf nehmen]. Unter vielen Aufrufen stand deshalb auch der Hashtag „#MerzIstMitgemeint“.
Trotz Regenwetter nahmen [2][in Köln laut Polizei 40.000] an dem lautstarken Protestzug mit Trommeln und Kochtöpfen durch die Innenstadt teil – weit mehr als die angekündigten 5.000. Auch hier sprechen die Veranstalter*innen von „Köln stellt sich quer“ von deutlich höheren Zahlen: 75.000 Menschen seien auf der Straße gewesen. Auch hier richteten sich viele Plakate nicht nur gegen die AfD, sondern ausdrücklich auch gegen CDU-Chef Merz.
Bis zu 220.000 Demonstrant:innen on the road
Insgesamt, das zeigt eine taz-Auswertung des Demogeschehens, nahmen an mehr als 50 Demonstrationen bis zu 220.000 Menschen teil. Neben Berlin und Köln war auch der [3][Protest in Ravensburg] und [4][Halle fünfstellig], mit jeweils rund 10.000 Menschen. Der Großteil der Demos fand aber in kleineren Orten mit drei- bis vierstelligen Teilnehmendenzahlen statt.
In Bautzen, Sachsen, standen beispielsweise mindestens 45 (laut Polizei) bis maximal 100 Menschen ([5][laut Teilnehmenden]) [6][einem Neonazi-Aufmarsch von mehr als 450 gegenüber]. Anders in Neumünster, Schleswig-Holstein: Dort wollten 150 AfD-Anhänger*innen demonstrieren und trafen dabei [7][auf 2.000 Gegendemonstrant*innen].
In Aschaffenburg, wo kürzlich ein Mann und ein zweijähriges Kind ermordet wurden, demonstrierten [8][3.000 Menschen gegen die politische Vereinnahmung der Tat und für Weltoffenheit]. Zur gleichen Zeit fand in einer Moschee in Frankfurt am Main das Totengebet für die Opfer statt.
Die Demonstrationen sind Teil einer Protestwelle gegen Rechtsextremismus, die seit Jahresbeginn in Schwung kommt. Mehr als 100 Veranstaltungen hat es seit Neujahr gegeben – oft in Sicht- und Hörweite von AfD-Veranstaltungen. Dabei waren insgesamt bis zu 320.000 Menschen auf der Straße. Bis zur Bundestagswahl sind mehr als 100 weitere Veranstaltungen geplant, davon Dutzende am 15. Februar unter dem Motto „Wähl Liebe“ (siehe Karte).
Bisher fällt die Bewegung deutlich kleiner aus als eine ähnliche Protestwelle Anfang 2024, als ein Geheimtreffen zwischen AfD-Mitgliedern, anderen Neonazis, sowie CDU- und Werteunion-Mitgliedern bekannt wurde, bei dem rassistische Vertreibungspläne besprochen wurden. [9][Mehr als 4 Millionen Menschen] waren damals auf die Straße gegangen.
Wie im vergangenen Jahr sammeln wir Termine für die aktuellen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus über die Mail-Adresse [10][demohinweise@taz.de]. Wir freuen uns über Hinweise auf Demonstrationen – am liebsten mit einer Quelle zu Berichterstattung durch Lokalmedien – und auf Demotermine in der Zukunft. Fehler und veraltete Informationen nehmen wir auch gerne an und korrigieren diese.
26 Jan 2025
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