taz.de -- Verfassungsschutz gegen Ende Gelände: Klimabewegung geächtet
Wann wird ziviler Ungehorsam zur kriminellen Handlung? Der Verfassungsschutz geht zu weit, wenn er Ende Gelände als linksextrem einstuft.
Für den Verfassungsschutz ist die Klimagruppe Ende Gelände ein „linksextremistischer Verdachtsfall“. Es ist das erste Mal, dass ein Teil der Klimabewegung so eingestuft wird. Die Aktivist*innen wurden durch spektakuläre kurzzeitige Besetzungen von Kohle-Tagebauen bekannt, erstmals 2015. Die Gruppe beteiligte sich auch an den letztlich erfolglosen Protesten zur [1][Rettung des Dorfs Lützerath] im vergangenen Jahr, das mittlerweile vom Energiekonzern RWE abgebaggert wurde.
Zuletzt machte eher ein Bündnis von sich reden, das aus einem Neufindungsprozess von Ende Gelände hervorgegangen ist: Die Gruppe [2][Disrupt] besetzte mit ähnlichen Taktiken wie früher Ende Gelände in den Tagebauen das Gelände des US-Elektroautobauers Tesla in Brandenburg. Eine [3][umstrittene Aktion], auch weil E-Autos klimafreundlicher als Verbrenner sind.
Überdimensionierte SUVs seien trotzdem schlecht, außerdem müsse die Zahl der Autos insgesamt abnehmen, hielten die Aktivist*innen dagegen. Ende Gelände veranstaltet außerdem gern „[4][System Change Camps]“, in denen über ein gerechteres und nachhaltiges Zusammenleben debattiert wird – am liebsten natürlich jenseits des Kapitalismus.
Wann radikaler Protest als ziviler Ungehorsam gilt und wann als kriminelles Stören, ist gesellschaftliche Aushandlungssache und umstritten. Die Einstufung als linksextremer Verdachtsfall geht aber darüber hinaus. Denn jetzt dürfen Behörden auch nachrichtendienstliche Methoden zur Gewinnung von Informationen über die Aktivist*innen anwenden, also zum Beispiel Kommunikation und Internetnutzung ausspionieren.
Das ist eine unangemessene Einschränkung der Bewegung. Ende Gelände arbeitet keineswegs daran, der freiheitlich demokratischen Grundordnung mit Menschenrechten, freien Wahlen, ablösbaren Regierungen, parlamentarischer Opposition und unabhängigen Gerichten ein Ende zu bereiten. Man könnte sogar sagen: eher daran, diese wichtigen Werte zu retten, bevor die Klimakrise das zivilisierte Zusammenleben völlig unmöglich macht.
18 Jun 2024
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der bayerische Verfassungsschutz hat weitreichende Befugnisse zur Information privater Stellen. Dagegen klagen jetzt Klima-Aktivist:innen.
Vier von fünf Menschen wünschen sich von ihren Regierungen mehr Klimaschutz. Das zeigt eine weltweite UN-Umfrage mit 75.000 Teilnehmenden.
Die Klimaaktivist*innen wurden vom Verfassungsschutz als „linksextremer Verdachtsfall“ eingestuft. Nun solidarisieren sich andere Gruppen.
Die Klimaaktivist*innen setzen auf zivilen Ungehorsam und besetzen Tagebaue. Der Bundesverfassungsschutz stellt sie nun unter Beobachtung.
In Gelsenkirchen haben Aktivist:innen Kohlemeiler blockiert – und damit auch gegen Morde und Zerstörung der Umwelt in Südamerika protestiert.
Klimaaktivist*innen fordern den sofortigen Erdgasausstieg. Im Visier der Hamburger Aktionswoche: Hafen und LNG-Terminals.