taz.de -- Deutschland muss KI-Regeln umsetzen: Streitpunkt Überwachung

Deutschland muss bald die neuen EU-Regeln zu künstlicher Intelligenz umsetzen. Fachleute fordern Verschärfungen – etwa bei der Gesichtserkennung.
Bild: Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist keine Seltenheit

Berlin taz | Expert:innen für Menschenrechte und Verbraucherschutz fordern, bei der Umsetzung der europäischen Regeln für künstliche Intelligenz (KI) Spielräume zu nutzen. „KI betrifft schon jetzt alle Lebensbereiche“, sagte Kilian Vieth-Ditlmann von der Menschenrechts-NGO Algorithmwatch bei einer Expert:innen-Anhörung im Digitalausschuss des Bundestages am Mittwoch.

Lina Ehrig vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) betonte, der sogenannte AI Act solle dafür Sorgen, dass Menschen Vertrauen in KI gewännen. „Das wird in der Praxis aber nur gelingen, wenn die Interessen und Bedürfnisse der Verbraucherinnen und Verbraucher berücksichtigt werden“, so Ehrig.

Der [1][AI Act, das europäische Regelwerk für KI], wird voraussichtlich in der kommenden Woche endgültig abgesegnet werden. Wirksam werden die Regeln jedoch erst nach einer Übergangszeit, je nach Vorschrift sind das zwischen 6 Monaten und 3 Jahren. Parallel dazu haben die Gesetzgeber der EU-Mitgliedstaaten innerhalb gewisser Rahmen die Möglichkeit, die EU-Regeln zu modifizieren. Dafür gibt es in einigen Bereichen Öffnungsklauseln.

Einer der großen Streitpunkte wird hier absehbar die Überwachungsfrage werden. [2][Schon bei den Verhandlungen zwischen EU-Parlament, Kommission und Mitgliedstaaten war sie stark umstritten]. Am Ende stand eine Öffnungsklausel: Die EU-Länder dürfen die biometrische Videoüberwachung strikter regeln, als es die EU vorsieht.

„Wildwuchs“ bei der Videoüberwachung

Die Fachleute Ehrig und Vieth-Ditlmann fordern nun genau das. Schon heute seien Menschen im öffentlichen Raum einem „Wildwuchs“ bei der Videoüberwachung weitgehend schutzlos ausgesetzt, kritisierte Ehrig.

„Wir werden alle zu wandelnden QR-Codes auf zwei Beinen“, so Vieth-Ditlmann, wenn der deutsche Gesetzgeber nicht restriktiver agiere als die EU. Mit biometrischer Überwachung, zum Beispiel Gesichtserkennung, werde die Anonymität im öffentlichen Raum aufgehoben, das werde zu Abschreckungseffekten führen, etwa wenn es um die Frage einer Demonstrationsteilnahme gehe. Vieth-Ditlmann forderte daher, die biometrische Überwachung im öffentlichen Raum zu verbieten.

Ehrig forderte außerdem ein niedrigschwelliges Beschwerdeverfahren für Verbraucher:innen bei der zuständigen Marktaufsicht. Wo die liegen wird und ob dafür eine neue Behörde geschaffen wird, ist noch offen. Der Juraprofessor und Digitalrechtexperte David Roth-Isigkeit von der Universität Speyer sprach sich in dem Zusammenhang für eine nationale Behörde aus und nicht für mehrere Landesbehörden. Eine zentrale Stelle verfüge über eine deutlich höhere Schlagkraft.

16 May 2024

LINKS

[1] /FAQ-zum-neuen-AI-Act-der-EU/!5991054
[2] /Kuenstliche-Intelligenz/!5982854

AUTOREN

Svenja Bergt

TAGS

Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Schwerpunkt Überwachung
Technologie
Europäische Union
Biometrie
Social-Auswahl
wochentaz
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Europäische Union
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz

ARTIKEL ZUM THEMA

Super Recognizer: Die Berliner Polizei macht es richtig

Der Einsatz von Menschen, die sich Gesichter besonders gut merken können, ist sinnvoll – solange nachvollziehbar ist, wie sie rekrutiert werden.

Mehr Videokameras am Hauptbahnhof: Hamburg zündet Überwachungsbombe

Hamburg baut die Überwachung am Hauptbahnhof massiv aus. Weil hier auch viele Demos starten, ist das eine schlechte Nachricht für Demonstrant*innen.

Überwachung per Drohne: Die Polizei guckt aus dem Himmel zu

Die Hamburger Polizei überwacht Fußballfans per Drohne. Eine gesetzliche Regelung gibt es dafür nicht. Der Senat findet das unproblematisch.

Vor Inkrafttreten der EU-Regeln: Werkzeugkoffer gegen KI-Auswüchse

Verbände bereiten sich darauf vor, das neue EU-Recht zu Künstlicher Intellligenz durchzusetzen, welches in Kürze in Kraft tritt. Doch es gibt Lücken.

KI-Gesetz in der Europäischen Union: Kennzeichnung wird Pflicht

Die Europäische Union bekommt einheitliche Regeln für den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Das KI-Gesetz wird ab dem Jahr 2026 in Kraft treten.

Umgang mit künstlicher Intelligenz: Akzeptanz braucht Transparenz

KI bietet Chancen. Um einen guten Umgang mit ihr zu finden, muss es noch viel mehr Transparenz über ihren Einsatz und ihre Risiken geben.

Gesetz zur künstlichen Intelligenz: Neue Technologie, neue Überwachung

Der AI Act ist beschlossen. Das überwachungs- und wirtschaftsfreundliche Ergebnis ist kein Zufall. Doch es ist gut, dass das Regelwerk jetzt durchkam.

FAQ zum neuen AI Act der EU: KI bekommt Regeln

Künstliche Intelligenz hilft bei der Überwachung, aber auch bei der Verbreitung von Hass und Fake News. Die EU schafft nun weltweit einmalig Recht.