taz.de -- Energiewende: Schleswig-Holstein geht der Saft aus

Der Kieler Landesregierung droht die eigene Investitionspolitik um die Ohren zu fliegen. Nun hat der Landtag eine Haushaltsnotlage festgestellt.
Bild: Im Kreis Dithmarschen soll eine Batterifebarik entstehen, aber nun wackelt die Finanzierung

Kiel taz | Ob Batteriefabrik für E-Autos in Dithmarschen, der Ausbau der Windkraft auf See und an Land oder die Förderung der Wasserstoffwirtschaft: Der Norden Deutschlands soll bei der Energiewende eine wichtige Rolle spielen. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das nun [1][verbietet, Notkredite und Sondervermögen für andere Zwecke als die ursprünglich geplanten auszugeben], gerät vieles davon in Gefahr. Auch Schleswig-Holsteins Regierung steht vor einem finanziellen Scherbenhaufen.

Unter anderem geht es um die [2][Batteriefabrik Northvolt, deren Ansiedlung das Land fördern wollte] – und zwar aus dem Ukraine-Notkredit, Mitteln also, die für die Finanzierung der Folgen des russischen Angriffskriegs vorgesehen sind. Auch Klima-Maßnahmen stehen auf dem Prüfstand. Die Idee der schwarz-grünen Regierung ist nun diese: Von Jahr zu Jahr erklärt das Parlament, dass sich das Land in einer Notlage befindet. Die FPD zweifelt daran, ob dieses Verfahren verfassungsmäßig ist. Dennoch kam bei der Landtagsdebatte am Donnerstag die nötige Zweidrittel-Mehrheit zustande.

„Wir wollen die Handlungsfähigkeit jederzeit sicherstellen“, sagte Tobias Koch (CDU). Die Koalition stellte daher Dringlichkeitsanträge, um Notlagen für die Jahre 2023 und 2024 festzustellen und so doch Notkredite aufnehmen zu können. Lasse Petersdotter (Grüne) hofft, dass der Bund rasch nachziehe und so Sicherheit für zugesagte Hilfen schaffe – kurz darauf wurde bekannt, dass [3][Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Schuldenbremse im Bund für dieses Jahr aussetzen will].

Karlsruher Verfassungsgerichtsurteil „bedauerlich“

Zuvor hatte Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) das Karlsruher Verfassungsgerichtsurteil „bedauerlich“ genannt. Aber es sei möglich, damit umzugehen, wenn die Forderung nach „Jährigkeit, Jährlichkeit und Fälligkeit“ beachtet werden. Gemeint ist, dass das Geld aus Notkrediten innerhalb eines Jahres ausgegeben werde. Bisher hatte die Landesregierung solche Mittel in Sondervermögen gesteckt, aus denen Ausgaben über mehrere Jahre bezahlt wurden.

Nun will Heinold aus allen diesen Töpfen die Mittel aus Rücklagen und Sondervermögen nehmen und damit Schulden abbauen. Es handelt sich um mehrere Hundert Millionen Euro, genauere Angaben konnte das Ministerium bisher nicht machen.

Das Land ist – trotz Schuldenbremse – mit mehr als 33 Milliarden Euro verschuldet. Doch „zur Bewältigung der multiplen Krisen“ werden weitere Notkredite benötigt, sagte Heinold, und dazu müsste die Notlage feststellen. So könnten der ökologische Umbau der Wirtschaft und der Gesellschaft finanziert werden.

Aber so einfach sei es nicht, sagt SSW-Politiker Lars Harms: Laut dem Urteil müsse „die Maßnahme, die ich finanzieren will, im engen Zusammenhang mit der Notlage stehen. Nach der Sturmflut ist der Deich kaputt, ich muss ihn reparieren – das geht.“ Weitergehende Maßnahmen aber seien schwierig: „Es ist kein ‚Wünsch dir was‘.“ Er lobte die Regierung aber dafür, dass sie Wege suche, mit der Lage umzugehen.

Kritik gibt es vor allem von der FDP, besonders wegen der Fabrik-Ansiedlung bei Heide. Dort will das schwedische Unternehmen Northvolt künftig mit rund 3.000 Beschäftigten und Energie aus Wind und Sonne Batterien für E-Autos produzieren. Für das Ziel der Landesregierung, Schleswig-Holstein zum klimaneutralen Industrieland umzubauen, wäre das ein wichtiger Schritt. Entsprechend spendabel war das Land bei der Zusage von Fördermitteln. 137 Millionen Euro sollten aus dem Ukraine-Notkredit kommen, eine ähnliche Summe will der Bund beisteuern.

Schleswig-Holstein erklärt Haushaltsnotlage

Koch und Petersdotter erklärten, dass die Finanzierung des Landes auf jeden Fall stehe. Doch für Christoph Vogt (FDP) ist klar, dass die Millionen-Förderung nicht per Notkredit bezahlt werden dürfe: „Die Ansiedlung war schon vor dem Ukraine-Krieg geplant – und sie ist ein Glücksfall und kein Notfall.“ Klimaschutz oder die Ansiedlung von Unternehmen seien staatliche Daueraufgaben, die aus dem regulären Haushalt bezahlt werden müssten.

Seine Fraktionskollegin Annabell Krämer griff die Regierung scharf an und bedauerte, nicht gegen die Pläne klagen zu können – dafür bräuchte die FPD eine zweite Fraktion, die sich beteiligt. Der SSW will das nicht: „Aus Staatsräson“, sagte Harms. „Zynisch“ nannte SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller das Argument des Gerichts, dass die Klimakatastrophe lange bekannt und daher kein akuter Notstand sei. Es müsse jetzt gehandelt werden, um die Folgen abzuwenden, auch wenn die erst in einigen Jahren einträfen: „Das Gericht verbietet uns nicht, klug zu sein.“ Er schlug ein milliardenschweres Transformationsprogramm vor und forderte dazu auf, über die Schuldenbremse nachzudenken.

Auch der Grüne Petersdotter könnte sich eine Lockerung der Bremse vorstellen: „Sie passt nicht mehr in Zeiten multipler Krisen.“ Seine Parteifreundin Heinold machte deutlich, dass sie für das Schulden-Verbot sei: „Ich habe die Zeiten ohne die Bremse erlebt, das war nicht schön, und die Infrastruktur wurde da auch nicht instandgesetzt.“ Für die CDU war der Vorstoß der SPD „finanzpolitisches Harakiri“, auch die FDP lehnte die Pläne ab. Dass sich Änderungen nicht nur mit Fördermitteln, sondern zur Not per Verbot erreichen ließen, daran erinnerte Nelly Waldeck (Grüne): „Es ist viel teurer, E-Autos zu fördern, als ein Verbrenner-Aus zu beschließen.“ Aber sie wusste auch: „Solche Maßnahmen sind nicht beliebt.“ Dennoch müsse über eine Steuerpolitik gesprochen werden, „die Klimaverhalten belohnt und starke Schultern mehr tragen lässt“.

23 Nov 2023

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AUTOREN

Esther Geißlinger

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