taz.de -- Demo gegen die tschechische Regierung: Die Wut der „Kremloboti“

Die Unterstützung der Ukraine kommt in Tschechien nicht bei allen gut an. Inflation und Staatsverschuldung machen den Leuten Angst.
Bild: Demonstration gegen die Pro-Ukraine-Politik der Regierung in Prag

So tief ist inzwischen der Graben innerhalb der tschechischen Gesellschaft, dass der Diskurs lieber auf Strohmänner setzt: ein paar Tausend „desolati“ – Desolate, wie das böhmisch-mährische Juste Milieu diejenigen bezeichnet, die das Vertrauen in den Staat verloren haben – hätten auf dem Wenzelsplatz versucht, auf sich aufmerksam zu machen, spottet es in den Kaffeehäusern.

An den Stammtischen hingegen waren es Zehntausende von Patrioten, die nach Prag gekommen waren, um der knapp zwei Jahre alten [1][Regierungskoalition von Petr Fiala] ihre Verachtung zu zeigen. Es waren keine vorrevolutionären Massen, aber auch mehr als ein paar Tausend Unzufriedene, die am Samstag aus der ganzen Republik, vor allem aus ihren unterversorgten Grenzregionen, zur „Tschechien gegen die Regierung“-Demo gereist waren.

Unter ihnen waren sicher viele Opfer eines miserablen Bildungswesens, die offen sind für jeden Schnipsel von Desinformation, sowie auch eine wachsende Zahl von sogenannten [2][Putin-Verstehern], in Tschechien nennt man sie „Kremloboti“, die hauptsächlich gegen die tschechische Unterstützung [3][der Ukraine] sind. Die hat in Tschechien metaphysische Ausmaße angenommen: ein Sieg der Ukraine als Vollendung der tschechischen Geschichte, als Sieg der Wahrheit über Lüge und Hass.

Überall kommt das allerdings nicht an. Viele Rentner hätten lieber eine andere, inflationsgebundene Rentenerhöhung, der Klein- und Mittelstand wohl lieber bezahlbare Energiepreise – und die Mittelschicht wird bei all den obskuren Steuer- und Beitragserhöhungen im Namen der Haushaltskonsolidierung auch recht unruhig.

Umso mehr, als die Regierung von Ministerpräsident Petr Fiala sich weiter verschuldet, um Milliarden an Hilfsgeldern in die Ukraine zu schicken. Die Regierung wertet die Ängste der Bevölkerung zu sehr ab, macht sie geradezu verächtlich. Der Politologie-Professor Fiala scheint beim Regieren das Brecht’sche Axiom vergessen zu haben, nachdem erst das Fressen kommt und dann die Moral.

17 Sep 2023

LINKS

[1] /Tschechiens-neuer-Ministerpraesident/!5821006
[2] /Linke-Putin-Versteher_innen/!5840085
[3] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150

AUTOREN

Alexandra Mostyn

TAGS

Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Tschechien
Prag
Inflation
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Tschechien
Tschechien
Tschechien

ARTIKEL ZUM THEMA

Milliarden für Russland: Tschechische Geschäfte mit russischem Öl und Gas

Der Öl- und Gassektor ist die wichtigste Einnahmequelle Moskaus. Zu den wichtigsten Käufern zählt die Tschechische Republik.

Energieimporte aus Russland: Europa kauft mehr russisches LNG

Das Flüssiggas ersetzt ausgefallene Pipeline-Lieferungen. Auch beim EU-Embargo gegen russisches Öl tun sich Schlupflöcher auf.

Großdemonstration in Tschechien: Zehntausende in Weiß-Rot-Blau

In Prag gehen Rechte und verunsicherte Bürger wegen hoher Energiepreise auf die Straße. Zudem sind sie gegen die Ukraine-Politik der Regierung.

Regierung in Tschechien: Korrupte Antikorruptionspartei

Im Skandal um Prags Verkehrsbetriebe wurden mehrere Mitglieder der Stan-Partei verhaftet. Ihnen wird organisiertes Verbrechen vorgeworfen.

Neues Regierungsbündnis in Tschechien: Breite Koalition in Prag

In Tschechien hat der liberalkonservative Petr Fiala den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Zuvor machten andere Spekulationen die Runde.