taz.de -- Waldorfschule als Gemeinschaft: Zum Leben erweckt, doch uniform

Jahrelang fühlte unsere Kolumnistin sich in der Waldorfschule als Teil einer Gemeinschaft. Dann merkte sie, wie beengt und gleichförmig die war.
Bild: Kunsterziehung in der Waldorfschule

Neues Schuljahr. Neuer Klassenraum. [1][Neue Wandfarbe]. Jede Klassenstufe hat [2][an Waldorfschulen] eine bestimmte Farbe. Das Lasieren der Wände ist meist Elternarbeit. Auch ich habe als Kind mitgeholfen, wenn wir das „Bauwochenende“ mal wieder in der Schule verbracht haben. Ich mochte den Geruch des Bindemittels für die Lasur. Dann die vorgegebene Farbe rein und mit dicken Quasten in liegenden Achten die Wände „zum Leben erwecken“.

Ich habe mich in den Räumen der Waldorfschule wohl gefühlt. Ich mochte die hochwertigen Materialien. Vollholz, Linoleum, Kupfer, naturgefärbte Baumwollvorhänge, Pflanzen, Steine, Kunstdrucke, Jahreszeitentisch. Und vieles ging durch meine Hände.

Ich habe zur Strafe Malbretter geschrubbt, wenn ich zu oft gequatscht hatte, oder ich musste Tische abschleifen. Ich habe im Gartenbauunterricht Bäume gepflanzt. Im Werkunterricht habe ich beim Kupfertreiben neue Schilder für die Toiletten gemacht. Ich habe Eurythmiekittel getragen, die andere Mütter genäht hatten – eine Art Tunika, die wir für den Eurythmieunterricht über unsere normale Kleidung ziehen mussten. Und andere Schülerinnen holen vermutlich Theaterkostüme aus dem Fundus, die meine Mutter genäht hat.

Waldorfschule ist eine Gemeinschaft. Und es [3][hat mir Sicherheit gegeben, Teil dieser Gemeinschaft] zu sein. Umso mehr, weil ich mich außerhalb der Schulgemeinschaft fremd gefühlt habe. Mir nicht selten einen dummen Spruch anhören musste oder nicht mitreden konnte, weil ich von popkulturellen Themen keine Ahnung hatte. Nur in der Schulgemeinschaft gehörte ich dazu und wusste, wie diese kleine Welt funktioniert. Und zu jedem Schuljahresende packten wir all unsere Topfpflanzen und Kleinigkeiten und zogen einen Klassenraum weiter.

Heute ertrage ich das Uniforme nicht mehr

Aus heutiger Perspektive fällt mir auf, wie viel Arbeit ich in diese Schule gesteckt habe, ohne je etwas selbst entscheiden zu dürfen. Die Farbe der Klassenräume ist seit 100 Jahren festgelegt. An allen Waldorfschulen dieser Welt. Das geht auf Rudolf Steiner zurück und soll die Schüler_innen in ihrer „[4][seelischen und geistigen Entwicklung“] unterstützen.

Ich fand die Wochenenden, an denen meine Familie Wände lasiert hat, nicht schlimm, aber übers Jahr summierten sich die schulfreien Tage, die ich in der Schule verbrachte, ganz schön: Feste, Proben, Monatsfeiern, Arbeitseinsätze. Das festigte das Band zur Schulgemeinschaft und reduzierte den Raum für Erfahrungen außerhalb der Gemeinschaft. Und ich mag Linoleumböden und Vollholzmöbel immer noch.

Aber ich kann das Uniforme der Waldorfeinrichtungen nicht mehr ertragen. Bis hin zu den Bildern an der Wand sehen hunderte von Waldorfräumen fast identisch aus. Ich habe mich sehr stark mit meiner Schule identifiziert und sie gegen jeden Angriff von außen verteidigt. Mir ist jeder fremde Mensch aufgefallen, der unser Schulgelände betrat.

Als Teenager war ich mit derselben Ästhetik, denselben Leuten und derselben Weltanschauung umgeben wie zu meiner Einschulung. Um mich als Persönlichkeit zu finden, fehlten mir Veränderungen, Reibungsflächen und Freiraum. Unsere Schulgemeinschaft war viel gleichförmiger, beengter und tradierter, als ich es mir je hätte vorstellen können.

12 Sep 2023

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AUTOREN

Frau Lea

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