taz.de -- Obdachlose Menschen in Berlin: Mehr als eine Zählung
Die Union für Obdachlosenrechte Berlin stellt am Montag Ergebnisse einer Befragung von Wohnungs- und Obdachlosen vor. Das Motto: Erzählen statt Zählen.
Berlin taz | „Erzählen statt zählen“ lautet die Devise einer Gruppe von Menschen, die sich für die Rechte von wohnungs- und obdachlosen Menschen in Berlin einsetzt. Kürzlich hat sie die Union für Obdachlosenrechte Berlin (UFO) gegründet. Neben Wohnungslosen gehören dazu auch solidarische Unterstützer*innen. Am Montag stellt die Gruppe im Nachbarschaftshaus Urbanstraße Ergebnisse der Gespräche vor, die sie mit obdachlosen Menschen in Berlin geführt hat.
Zu ihnen gehört Dietlind Schmidt. Die resolute Frau kämpft auch als Wohnungslose bei UFO für ihre Rechte. Die Gruppe gehörte zu den Kritiker*innen der Zählung von Wohnungs- und Obdachlosen in Berlin.
Die von der Senatsverwaltung initiierte Aktion wurde zum Flop. Bei der [1][ersten Zählung im Januar 2020] wurde mit knapp 2.000 Menschen nur ein Bruchteil der wohnungslosen Personen notiert. Weitere Zählungen wurden zunächst wegen Corona und dann wegen des Mangels an freiwilligen Zähler*innen abgesagt.
Bei vielen Betroffenen hat die Zählaktion Kritik ausgelöst. „Wir sind Menschen, keine Zahlen“, bringt Dietlind Schmidt ihre Ablehnung auf den Punkt. „Der Schlafplatz ist für Wohnungslose das einzige Stück Privatsphäre. Da will er nicht gestört werden“, bekräftigt UFO-Aktivist Uwe Mehrtens die Kritik.
Ins Gespräch gekommen
Die Gruppe ist aber nicht bei der Ablehnung der Zählung stehen geblieben, sondern mit den Menschen ohne Obdach ins Gespräch gekommen. Dafür wurde ein Fragebogen erstellt als Grundlage für die vorwiegend in Mitte und Kreuzberg geführten Gespräche mit Wohnungslosen.
An mehreren Terminen zwischen Juni und November 2022 beteiligten sich 207 Wohnungslose. Bei den Fragen ging es um die Bewältigung des Alltags auf der Straße, den Umgang mit Behörden und Polizei, aber auch um Erfahrungen von Abwertung und Bedrohung. „Was brauchen Sie am dringendsten“, lautete eine zentrale Frage. „Einen menschenwürdigen Schlafplatz“ war eine häufige Antwort.
Oft wurde in den Gesprächen der nicht vorhandene einfache und kostenfreie Zugang zu Grundversorgung wie Nahrung, Kleidung und hygienischer Versorgung beklagt. Die meisten der Befragten berichteten von Diskriminierungserfahrungen auf der Straße, aber auch durch Behörden. „Jede andere Form von Unterkunft als ein Heim wäre in Ordnung“, lautete die Antwort auf die Frage, wo sie leben wollen. Online ist der Ergebnisbericht auf [2][zeitdersolidaritaet.de] veröffentlicht.
21 May 2023
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Seit fast 30 Jahren lebt Fernando Rojas in Berlin, illegal und überwiegend obdachlos. Trotzdem ist er verliebt in die Stadt.
Nach der abgesagten Obdachlosenzählung sollte ein Projekt die Vorstellungen von Wohnungslosen ermitteln. Doch das dafür eingeplante Geld wurde gestrichen.
Hitze kann für obdachlose Menschen lebensbedrohlich werden. Der Senat stellt eine Million Euro für Hitzehilfeprojekte bereit. Bald wird aufgestockt.
Obdachlosigkeit lässt sich nicht mit Platzverweisen lösen. Um Lebensprobleme zu lösen, braucht es Ruhe. Ein Projekt in Hamburg macht Hoffnung
In einer 24/7-Unterkunft in Berlin-Kreuzberg können Frauen auch tagsüber so lang bleiben, wie sie wollen. Trotz Erfolg ist das Projekt gefährdet.
Eine Befragung von Obdachlosen zeigt: Viele erfahren Gewalt und Diskriminierung. Und erleben ein Hilfesystem, das oft nicht hilft.
Mittwochnacht sollte es die zweite Obdachlosenzählung geben. Mangels Freiwilliger wird sie verschoben. Brauchen wir sie echt noch? Ein Pro und Contra.
Das Ziel, die Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen, ist kaum noch zu erreichen. Dafür fehlt nun ein wichtiger Baustein. Die Politik agiert konzeptlos.