taz.de -- Flüchtlingsgipfel: Im Chor mit der Union
Eine Milliarde mehr für Kommunen und Länder, aber auch mehr Abschiebungen und Zäune. Die Flüchtlingspolitik der Ampel-Koalition schaltet auf schwarz.
Es ist amtlich: Die linkeste Regierung, die Deutschland seit Jahren hatte, will lieber Unsummen in Zäune an den EU-Außengrenzen und Kontrollen an den eigentlich offenen europäischen Binnengrenzen stecken, als Kommunen nachhaltig bei der [1][Unterbringung und Integration Geflüchteter] zu unterstützen.
Nachdem der Bund erst klar gesagt hatte, er wolle keinen weiteren Cent mehr zahlen, wurde es nun doch eine ganze Milliarde, die Länder und Kommunen 2023 bekommen sollen. Seit Monaten fordern die Länder und vor allem viele [2][Kommunen mehr Unterstützung], um Geflüchtete unterzubringen – aber auch dafür, dass jene, die für längere Zeit bleiben werden, Sprachkurse, Schul- und Kitaplätze bekommen. Worauf Bund und Länder sich aber nicht einigen konnten, ist, wie die Finanzierung über dieses Jahr hinaus aussehen soll.
Doch noch bevor Scholz verkündete, dass der Bund den Ländern und Kommunen nun doch mehr Geld geben wird, erklärte er in aller Ausführlichkeit, wovon es außerdem „mehr“ geben soll: mehr Abschiebungen, mehr Abschiebehaft, mehr sichere Herkunftsstaaten, mehr Verstöße gegen das auch für Geflüchtete geltende Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung.
All das fand sich schon im Entwurfspapier der Bundesregierung für den Gipfel, als Tauschangebot: Wir geben euch kein Geld, stattdessen werden wir die Leute los. [3][Jetzt gibt es Geld] – und die Abschiebedebatte läuft weiter. Ganz ohne Not hat die Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Erzählung der Union weitergetragen, Deutschland breche zusammen unter einer Last von Menschen, die hier nichts verloren haben. Die hier Asyl beantragen, aber es sich eigentlich bloß gemütlich machen wollen. Von der Realität ist das meilenweit entfernt.
Die meisten Menschen kamen aus der Ukraine
Der allergrößte Teil der Menschen, die 2022 nach Deutschland flüchteten, kommt aus der Ukraine. Diese Menschen landen nicht in Abschiebehaft, werden überhaupt nicht abgeschoben. Das Gleiche gilt für die ganz überwiegende Zahl der Geflüchteten aus anderen Staaten. Von den rund 100.000 Menschen, die dieses Jahr bereits einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben, kommt fast die Hälfte aus Syrien oder Afghanistan. Insgesamt war die Quote derer, denen Schutz zugesprochen wird, im Jahr 2022 auf einem Rekordhoch. Noch dazu waren 40 Prozent der Klagen gegen ablehnende Bescheide erfolgreich.
Kurz: Die allermeisten dieser Menschen bekommen Schutz. An den aktuellen Herausforderungen ändert sich nichts, wenn die Bundesregierung im Chor mit der Union über Abschiebungen fantasiert, die es nicht geben wird. Insofern ist es fast konsequent, die Menschen bereits an der Einreise in die EU zu hindern. Wem aber als Antwort auf Krieg, Folter und Verfolgung nur Zäune, Haftzentren und Grenzschutzmissionen einfallen – der braucht von einem Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik, wie die Ampel ihn versprochen hat, gar nicht erst zu sprechen. Und von Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde sollte er erst recht schweigen.
11 May 2023
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Innenministerin Nancy Faeser will den Schutzstatus für ukrainische Geflüchtete in Europa verlängern. In Kürze will sie sich mit EU-Kollegen darüber beraten.
Eine Taskforce soll bei der Unterbringung von 12.000 weiteren Flüchtlingen bis Jahresende helfen. Nach der Senatsklausur im Juni soll sie starten.
Abgeordnete von Grünen und SPD kritisieren die geplanten Asylrechtsverschärfungen scharf. Einzelne sehen „rote Linien überschritten.“
In Ländern und Kommunen fallen die Reaktionen auf die Beschlüsse des Flüchtlingsgipfels gemischt aus. Viele vermissen eine langfristige Lösung.
Bund und Länder haben sich eine Milliarde Euro für die Länder geeinigt. Kanzler Scholz redet aber vor allem über beschleunigte Asylverfahren.
Vor Beginn des Flüchtlingsgipfels haben sich die Bundesländer auf gemeinsame Forderung geeinigt. Für 2023 fordern sie eine Milliarde Euro zusätzlich.
Beim Flüchtlingsgipfel am Mittwoch will das Kanzleramt den Ländern vorschlagen, das Asylrecht massiv zu verschärfen. Grüne in der Ampel sind dagegen.