taz.de -- Wie die Ampel Rot-Grün-Rot ausbremst (2): Immer noch in den Knast
Die Ampel will die Ersatzstrafen verringern, eine Halbierung ist geplant. Berlin aber strebt die Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung an.
Berlin taz | Es ist eins von Lena Krecks zentralen politischen Anliegen: Das [1][System der Ersatzfreiheitsstrafen] müsse überarbeitet werden. Dass Menschen, die eine Geldstrafe nicht bezahlen können, dafür im Gefängnis landen können, gilt nicht nur der linken Berliner Justizsenatorin als unzeitgemäß. Eine entsprechende Bundesratsinitiative unterstützt Berlin bereits seit 2019.
Auch die Ampelkoalition im Bund hat sich per Koalitionsvertrag zu einer grundlegenden Überarbeitung des Systems der Ersatzfreiheitsstrafen verpflichtet. Justizminister Marco Buschmann (FDP) legte im Sommer einen Referentenentwurf vor, der eine Halbierung der Haftstrafen vorsieht: für zwei Tagessätze nicht bezahlte Geldstrafe wird dann nur noch ein Tag Haft fällig. Dieser erste Vorstoß sollte ursprünglich bereits im November im Bundestag beschlossen werden.
Doch dann rumorte es in der Ampelkoalition: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) befürchtete, dass auch Gewalttäter gegen Frauen von der Haftreduzierung profitieren könnten und die Zahlungsbereitschaft bei Geldstrafen nachlassen würde.
Aus der Praxis betrachtet eine krude Vorstellung: Es sind hauptsächlich alleinstehende Menschen am äußersten Rand der Gesellschaft – oft obdachlos, suchtgeschädigt oder psychisch erkrankt – die Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen. Sie sind selbst zu Alternativen wie „Arbeit statt Strafe“ nicht in der Lage. Die wesentlichen Delikte: Beförderungserschleichung, also Fahren ohne Ticket und kleinere Diebstähle.
Aufs „2 zu 1“-Modell geeinigt
Im Dezember haben sich Faeser und Buschmann dann doch auf das „2 zu 1“-Modell geeinigt. Für die nächsten Wochen wird ein Beschluss im Bundestag erwartet.
Die versprochene grundlegende Überarbeitung des Systems der Ersatzfreiheitsstrafen ist das aber noch lange nicht. Schon Krecks Vorgänger Dirk Behrendt (Grüne) strebte eine Entkriminalisierung wenigstens der Beförderungserschleichung an. Niemand sollte mehr wegen Fahrens ohne Ticket ins Gefängnis müssen.
Neben Berlin stehen auch andere Bundesländer – wie etwa Bremen – hinter der Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung. Zuletzt hatten sich auch unionsgeführte Länder aufgeschlossen gezeigt.
Auch Bundesjustizminister Buschmann hatte eine grundsätzliche Überarbeitung des Systems der Ersatzfreiheitsstrafen für Anfang 2023 in Aussicht gestellt. Dass nun schon die Halbierung der Haftstrafen einige Überzeugungsarbeit innerhalb der Koalition gekostet hat, macht das Vorhaben nicht eben wahrscheinlicher. Eine Terminierung vonseiten des Ministeriums gibt es jedenfalls bislang nicht.
16 Jan 2023
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Immer mehr sitzen Ersatzfreiheitsstrafen ab. JVA-Chef Uwe Meyer-Odewald sagt: Sie gehören hier nicht her. Das Strafbedürfnis sei oft irrational.
Ein Mann sitzt im Gefängnis, weil er kein Geld hat. Es müsste sich was ändern, sagt er – und ist mit der Forderung nicht allein.
Berlin hat mietenpolitisch viel versucht, ist aber am Bund gescheitert. Nach gekipptem Mietendeckel und kaputtem Vorkaufsrecht bleibt nur Enteignung.
Wer eine Geldstrafe nicht zahlen kann, soll künftig nur noch halb so lang in den Knast. Das ist billiger, löst aber das soziale Grundproblem nicht.
Wer Bußgelder nicht zahlen kann, muss bisher oft in Haft. Die Ampel will die Ersatzstrafen verringern. Initiativen wollen die Praxis ganz beenden.
Seit zehn Monaten ist Lena Kreck (Linkspartei) in Berlin Justizsenatorin. Von ihren Amtsvorgängern unterscheidet sie sich in vielen Dingen.