taz.de -- Pläne für Krankenhausreform: Das Gesundheitssystem heilen

Karl Lauterbach hat eine „Revolution“ des Gesundheitssystems angekündigt. Es wird auch höchste Zeit, damit zu beginnen.
Bild: Die Behandlung kann losgehen: in der Bettenaufbereitung im Klinikum rechts der Isar

Wenig ist in Deutschland so frustrierend wie die Gesundheitspolitik. Zugegeben, auch Themenfelder wie Verkehr oder Energie sind extrem schwierig, weil sinnvolle Dinge wie Tempolimit oder Windkraftausbau daran scheitern, dass sich Menschen und die sie vertretenden Parteien dagegen positionieren. Der zusätzliche Frustfaktor im Gesundheitsbereich besteht indes darin, dass erstaunlicherweise in vielen Fragen Einigkeit herrscht und trotzdem nichts vorangeht.

Seit Jahren stehen alle Fachleute besorgt um das Bett des schwerkranken [1][Gesundheitswesens] herum, stellen gemeinsam die Diagnose und ahnen sogar, worin die Therapie besteht. Nur geht es trotzdem nicht los mit der Behandlung, und das ist sehr schade.

Daher: Ja, wenn sich endlich mal etwas ändern würde in diesem starren System, in dem jede Seite ihre Pfründe verteidigt und neidisch auf alle anderen schielt, wäre das eine „Revolution“, wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach versprochen hat, auch wenn der SPD-Politiker dafür schon viel Hohn und Kritik einstecken musste.

Lauterbach war – als Gesundheitsexperte – bereits vor 20 Jahren selbst an der Reform beteiligt, als die [2][Fallpauschalen] eingeführt wurden, die einzig aufgrund der Diagnose festlegen, welche Summe eine Klinik für eine Behandlung bekommt. Was die Pauschale allerdings nicht berücksichtigt, ist, wie gut die Wunde nach einer Operation tatsächlich verheilt oder ob einzelne Patient*innen mehr Pflege brauchen als Max Mustermann. Daher sollte, wer ein Kind ist, wer alt oder behindert ist, Klinikaufenthalte besser meiden. Denn in heutigen [3][Krankenhäusern] herrscht so brutaler Zeit- und Bürokratiedruck auf das ärztliche und pflegerische Personal, dass Menschen auf der Strecke bleiben.

Menschen sind schwerer ersetzbar als Geld

Künftig soll es, hurra!, weniger um Geld und wieder mehr um die Medizin gehen. Der von Lauterbach vorgestellte Behandlungsplan für das Krankenhaussystem enthält viele Therapieschritte, darunter OPs mit richtig tiefen Schnitten. Wie gut und wirksam die sind, darüber wird in den nächsten Monaten gestritten werden. Der Bund kann nicht durchregieren, dagegen stehen die Selbstverwaltung des Systems und die Länder, und zumindest Bayern hat schon Widerstand angekündigt.

Es gibt aber einen Grund, warum es klappen kann mit der Revolution: Vor 20 Jahren ging es darum, Geld zu sparen. Heute fehlen Menschen. Und die sind am Ende doch schwerer zu ersetzen als Euro und Cent.

Um den Beruf für Ärzt*innen und Pflegekräfte wieder attraktiver zu machen, muss das Gesundheitssystem gesunden. Die Diagnose ist gestellt, es wird Zeit, endlich mit der Behandlung anzufangen.

11 Dec 2022

LINKS

[1] /Plaene-zur-Krankenhausreform/!5896808
[2] /Experte-zu-Krankenhausreform/!5896807
[3] /Gesundheitssystem-am-Limit/!5896837

AUTOREN

Esther Geißlinger

TAGS

Gesundheitspolitik
GNS
Karl Lauterbach
Krankenhäuser
Gesundheitspolitik
Gesundheitspolitik
Krankenhäuser
Wochenkommentar
Krankenkassen

ARTIKEL ZUM THEMA

Kommissionschef über Krankenhausreform: „Es war noch nie so dramatisch“

Der Psychiater Tom Bschor leitet die Kommission, die die größte Gesundheitsreform seit 20 Jahren erarbeitet. Er findet, sie ist bitter nötig.

Mediziner über die Krankenhausmisere: „Ohne Reform crasht das System“

In Deutschland geht Veränderung nur in der Krise, sagt Christian Karagiannidis. Eine Krankenhausreform soll das Gesundheitswesen retten.

Reformvorhaben von Karl Lauterbach: Notoperation Krankenhaus

Das Kliniksystem soll reformiert werden. Rettet das auch die Patienten? Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Lauterbachs Plänen.

Kinderkliniken am Limit: Die herbeigesparte Krise

Der Notstand in den Kinderkliniken wurde durch deren Ökonomisierung geschaffen. Nötig sind tiefe Reformen, kein akutes Krisenmanagement.

Experte zu Krankenhausreform: „Das Fallpauschalen-System bleibt“

Die Regierungskommission verspricht, den finanziellen Druck in Krankenhäusern abzuschwächen. Experte Kalle Kunkel glaubt das nicht.