taz.de -- Netflix-Film „Die Schwimmerinnen“: Per Schmetterling nach Rio
Zwei Syrerinnen retteten 2015 schwimmend ein Flüchtlingsboot, eine trat später bei Olympia an. Nun hat Netflix ihre Geschichte verfilmt.
Die junge Syrerin kämpft. Erst liegt sie noch etwas zurück. Dann reißt sie die Arme aus dem Wasser, findet zurück in ihr Rennen und schlägt an – als erste. Nach 1:09,21 Minuten gewinnt Yusra Mardini den Vorlauf über 100 Meter Schmetterling bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro.
Insgesamt landet die 18-Jährige nur auf Platz 40. Aber hinter solch scheinbar belanglosen Platzierungen verbergen sich die besten Geschichten. Das zeigt der Spielfilm „[1][Die Schwimmerinnen“, der seit ein paar Tagen bei Netflix] zu sehen ist. Er bietet zudem beste TV-Unterhaltung für WM-Flüchtige.
Um Flucht geht es auch bei Yusra Mardini und ihrer älteren Schwester Sara. Sie waren zwei von den Hunderttausenden, die im Sommer 2015 vor dem Krieg aus Syrien nach Deutschland geflohen sind. Und geübte Schwimmerinnen. So konnten sie ihr kaum seetüchtiges, komplett überfülltes Schlauchboot, mit dem sie von der Türkei die nahe gelegene griechische Insel Lesbos erreichen wollten, stundenlang durchs Meer ziehen, bis sie und ihre Mitflüchtlinge das rettende Ufer erreichten. Eine anrührende Geschichte, über die damals viele Medien berichteten, [2][auch die taz].
Der Verdienst der Netflix-Verfilmung ist, dass sie sich nicht nur auf dieses Drama in der Ägäis und das Happy-End in Rio konzentriert. Der Film erzählt die ganze Geschichte. Sie beginnt mit den Teenagerinnen in Damaskus, deren Leben sich auch dann noch zwischen Schwimmtraining und Dachpartys bewegt, als am Horizont schon Bomben fallen. Sie spart später nicht den langen Weg über den Balkan aus, auf dem die Frauen skrupellosen Schleppern und Gewalt ausgesetzt sind. Und sie erzählt auch von Ernüchterung und Frustration in den Aufnahmelagern in Berlin.
Phasenweise kommt „Die Schwimmerinnen“ im Stil einer ZDF-Mittwochsschmonzette daher – auch wegen Matthias Schweighöfer, der dauerlächelnd den Schwimmtrainer spielt, der Yusra Mardini bis zu ihrem [3][Antritt im Flüchtlingsteam bei Olympia] begleitet. Aber das ist kein Manko. Im Gegenteil. Der Film schafft es, Flüchtende nicht als Fremde darzustellen, sondern als Menschen von nebenan.
Nur die Geschichte der älteren Schwester Sara kommt zu kurz. Die ging zurück nach Lesbos als Flüchtlingshelferin. Dass ihr dort deswegen bis heute [4][ein Prozess und eine langjährige Haftstrafe droht], erfährt man erst im Abspann.
30 Nov 2022
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