taz.de -- Die Adventskalender werden immer dicker: Jedem Türchen sein Pläsürchen

Schokolade war gestern. Längst gibt es Adventskalender in allen Ausführungen. Vom Craft-Beer über Angelzubehör und Würste bis zum Katzenfutter.
Bild: Adventskalender früher: Flache Gebilde, hinter deren Türen Schokoladentäfelchen befinden

Und, was war bei Ihnen hinter dem ersten Türchen? Bei mir waren es kleine Häuser. Oder so was Ähnliches, denn ich habe einen Postkarten-Adventskalender in Hundertwasser-Lookalike-Optik und die Türchen sind nur fingernagelgroß. Meine Mutter hat ihn mir mit der Briefpost geschickt, sie macht das seit mehr als zwanzig Jahren, eine schöne Tradition.

Derart traditionell aufgestellt, denke ich bei nicht selbst gebastelten Adventskalendern bis heute an flache Gebilde, hinter deren Türen sich Bilder oder Schokoladentäfelchen befinden. Dabei sind die Kalender längst fett geworden. Wann? Keine Ahnung, vielleicht zur gleichen Zeit, als sich die Kindermagazine am Kiosk von zweidimensional (ein buntes Heft aus Papier) zu dreidimensional (ein buntes Heft, darauf ein Plastikspielzeug) aufblähten. Vielleicht schon früher. Unzweifelhaft aber sind sie es, koffergroß stapeln sich die Kalender im Supermarkt, gefüllt mit Überraschungseiern, Haribo-Tütchen oder Marzipanbroten.

Bei Süßigkeiten bleibt es natürlich nicht. So gibt es zum Beispiel, [1][passend fürs taz-Milieu, auch Tee-Adventskalender], jeden Tag ein Beutel. Durst bekommen? Dann ist der Craft-Beer-Adventskalender vielleicht das Richtige, mit 24 Flaschen und einem Glas, oder vielleicht lieber gleich die Whisky-Variante für den guten Start in den Tag.

Andere Kalender sind gefüllt mit Gewürzmischungen, Legofiguren, Wurstsorten, Angelzubehör, Knete, Porridge, Fisherman’s Friends, Pringles, CBD-Produkten und, und, und, dazu kommen die drölftausend Varianten mit Kosmetika und Pflegeprodukten. Es gibt auch Kalender für Heimwerker:innen (hinter jedem Türchen ein Akkuschrauber-Bitaufsatz), für Katzen (jeden Tag [2][ein Leckerli]), ja sogar für Männer (Sekundenkleber, Mini-Wasserwaage, Rasiergel usw.).

Die Preise für diese XXL-Kalender sind dabei gern mal dreistellig, aber: Man spart ja noch viel mehr! An zahlreichen Stellen im Internet wird schnäppchengeilen Kunden vorgerechnet, wie hoch bei einzelnen Kalendern die Differenz vom Preis zum Einzelwarenwert der 24 Inhalte ist. Für die Hersteller rentiert es sich natürlich trotzdem. Denn so ein Adventskalender ist als Abwurfstation für Produktsamples ein ganz hervorragendes Kundenbindungs- und Bedürfnisweckungstool.

War das jetzt zu viel turbokapitalistischer Firlefanz? Fehlt Ihnen irgendwie die Besinnlichkeit? Kein Problem. Da empfiehlt sich, je nach Typ, ein Erotik-Adventskalender („Toys, Stimulierendes, Body & Care & Soft-Bondage“) oder der Kalender „Achtsamkeit im Advent“ („24 kleine Impulse und Übungen“). Ich wünsche eine gnadenbringende Vorweihnachtszeit!

3 Dec 2022

LINKS

[1] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245266
[2] /Zum-Weltkatzentag/!5870047

AUTOREN

Michael Brake

TAGS

Kolumne Geschmackssache
Adventszeit
Konsum
Weihnachten
Kolumne Starke Gefühle
Grüne Woche
taz-Adventskalender
Kolumne Geschmackssache
Kolumne Geschmackssache

ARTIKEL ZUM THEMA

Plädoyer für billige Schokolade: Schluss mit Adventskalendern voller unnützer Dinge!

Adventskalender für Erwachsene, vollgestopft mit Lippenstiften, Gewürzen oder Sextoys, boomen. Profitieren tut davon vor allem die Industrie.

Phänomen in der Agrarwirtschaft: So viele Königinnen wie Kartoffeln

Japan hat niedliche Fantasiewesen als Maskottchen. Deutschland jede Menge Pseudoadelige. Nun ja.

Weihnachten für umme (2): Immer den Aufklebern nach

taz-Adventskalender: Zum Wandern muss man nicht in die Alpen, man braucht nicht mal ein S-Bahn-Ticket. Ein Netz von Wanderwegen durchzieht Berlin.

Slowenische Küche: Drei Farben: Gelb

Von wegen Ćevapčići! Slowenien ist ein Teigland, kulinarisch geprägt von italienischen und habsburgischen Einflüssen.

Raus in den herbstlichen Wald: Pilzblick lernen, Pilzwesen ernten

Für Großstadtmenschen ist Pilzesammeln die perfekte Zurück-zur-Natur-Experience. Stimmen die Bedingungen, hat man am Ende einen Wäschekorb voller Maronenröhrlinge.