taz.de -- Wir fordern: Eine dezentrale Energiewende
… weil Bürger*innen echte Beteiligung zusteht. Deutschlands Energiebedarf kann und soll vollständig durch erneuerbare Energien gedeckt werden.
Berlin [1][taz Panter Stiftung |] Ein Windpark mit 55 Windrädern außerhalb des Zentrums, der etwa 65.000 Haushalte mit Strom versorgt. Eine Biogasanlage, die die Wärmeversorgung sichert. Feste Strompreise von nur 16,6 Cent pro Kilowattstunde – die meisten Deutschen zahlen fast das Doppelte. Utopie oder Realität?
Der Ort Feldheim in Brandenburg zeigt, dass es möglich ist, sich unabhängig von Öl-, Kohle- und Gaskonzernen mit Energie zu versorgen. Die Feldheimer*innen leben in einem komplett energieautarken Dorf. Ausschließlich erneuerbare Energien sorgen für Strom und Heizung, hauptsächlich dank ihrer Photovoltaik-, Windkraft- und Biogasanlagen. Eine große Batterie speichert die überschüssige Energie und sichert so eine konstante Stromversorgung.
Die Wärmeversorgung wird in Spitzenzeiten durch eine sogenannte Holzhackschnitzelheizung garantiert. Seitdem sich der Ort mit erneuerbaren Energien versorgt, gab es noch nie einen Stromausfall. Dieses Konzept begeistert nicht nur die Bewohner*innen Feldheims, sondern zieht sogar viele interessierte Touristinnen an.
Feldheim ist ein Zukunftsort. Er zeigt, wie die Energiewende in Deutschland möglich ist. Doch die Realität sieht leider noch immer anders aus: Im Jahr 2021 verfehlte die Bundesregierung erneut ihre Klimaschutzziele. Verantwortlich dafür sind eine Erholung der Wirtschaft nach Corona, ein Rückgang der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und ein stark gestiegener Erdgaspreis. In nahezu allen Sektoren sind die Treibhausgasemissionen angestiegen.
Hinzu kommt: Der fehlende weitere Ausbau erneuerbarer Energien in den letzten Jahren hat dafür gesorgt, dass der nun wieder erhöhte Energieverbrauch vollständig durch konventionelle Energieträger gedeckt werden muss. Und so entstand der Eindruck, dass der Energiebedarf der Bundesrepublik nie vollständig durch erneuerbare Energien gedeckt werden könnte.
Doch verschiedene Studien renommierter Institute bestätigen, dass eine komplette Energiewende, eine Versorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien möglich ist. Beispiele wie Feldheim zeigen, dass die Menschen bereit zu den notwendigen Veränderungen sind, wenn sie mitgenommen und beteiligt werden. Und von den Vorteilen der Energiewende direkt profitieren.
Warum also folgen nicht mehr Bürger*innen diesem Beispiel? Warum gibt es nicht schon viel mehr solcher Zukunftsorte in Deutschland?
Dass nicht nur die Menschen in ländlichen Regionen wie Feldheim bereit für die Energiewende sind, zeigen die Empfehlungen des Bürger*innenrats Klima auf Bundesebene und des Berliner Bürger*innenrats. In beiden Gremien sprachen sich die teilnehmenden Menschen für einen schnellen klimafreundlichen Umbau der Energieversorgung aus. Als wichtige Stellschrauben nennen Expert*innen Flächenvorgaben und finanzielle Förderungen:
- den massiven Abbau bürokratischer Hürden
- Mieterstrom-, Genossenschafts- und Balkonanlagenkonzepte
- öffentlich geförderte Weiterbildungs- und Ausbildungsoffensiven für die Bereiche der erneuerbaren Energien
Die Bereitschaft der betroffenen Menschen für die notwendigen Veränderungen steigt, wenn sie mitgestalten und finanziell profitieren können. So würde die Energiewende in jedem Haus, in jedem Dorf und jeder Stadt mitgetragen. Ein ganzes Land voller Zukunftsorte wäre möglich – und Deutschland Vorreiter der dezentralen Energiewende.
JANNE KÖDER, OLIVIA HUCKSCHLAG UND DENISE NEY
23 Aug 2022
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Auf Dächern von Mehrfamilienhäusern erzeugter Strom spielt bei der Energieerzeugung kaum eine Rolle. Dabei birgt der „Mieterstrom“ große Potenziale.
Der Bundestag und die Bundesregierung holen sich Expertise oft aus der Wirtschaft und der Wissenschaft. Die Zivilgesellschaft bleibt häufig außen vor.
In Baden-Württemberg müssen auf allen neuen Nicht-Wohngebäuden Photovoltaikanlagen installiert werden, andere Länder zögern.
… weil RWE & Co. unsere Energiepolitik diktieren. Ohne Verbot wird es nichts mit Kohleausstieg und 1,5-Grad-Ziel.
… einzuhalten, weil Deutschland seit 1750 mehr Emissionen verursacht hat als Afrika und Südamerika zusammen. Plus: Lexikon zur Klimagerechtigkeit.
… weil langfristige Lösungen für alle profitabler sind. Schon jetzt kostet uns der Klimawandel 6,6 Milliarden Euro jährlich – allein in Deutschland.