taz.de -- Verbandsvize über MInderheitenpolitik: „Das ist Friedenspolitik“

Die Fäden der europäischen Minderheiten laufen bei der FUEN in Flensburg zusammen. Ihr Vizepräsident Gösta Toft reist durch Europas Krisengebiete.
Bild: Ganz normal: Begrüßung der dänischen Königin in einer dänischen Schule in Schleswig

taz: Herr Toft, das Grenzland zwischen Deutschland und Dänemark wird oft als Vorreiter für Minderheitenpolitik wahrgenommen. Woran liegt das?

Gösta Toft: Hier arbeiten vier Minderheiten zusammen. Die Dänen, Friesen, Sinti und Roma in Deutschland sowie die deutschen Nordschleswiger in Dänemark kooperieren über die Grenze hinweg und haben auch mit den Mehrheiten eine gute Zusammenarbeit. Das ist gelebte Vielfalt, die oft unterbewertet wird. Wir verkörpern das, was die EU eigentlich anstrebt. Bei uns sind zum Beispiel die Sinti und Roma im Gegensatz zu vielen anderen Regionen integrierter Bestandteil und arbeiten gleichberechtigt im Dialogforum Norden mit.

Also alles bestens?

Natürlich gibt es noch Forderungen. Die deutsche Minderheit in Nordschleswig hat noch keine zweisprachigen Ortsschilder und die Sinti und Roma sind in Dänemark überhaupt nicht als Minderheit anerkannt. Außerdem gibt es seit der Flüchtlingskrise wieder Grenzkontrollen. Das höhlt die EU von innen aus.

Was unterscheidet Sie als Nordschleswiger von der dänischen Mehrheitsgesellschaft?

Dass wir deutsche Sprache und Kultur in allen Bereichen vermitteln. In der dänischen Minderheit in Deutschland gibt es gerade eine Diskussion über die Bindestrich-Identität. Kann man beides sein? Oder muss man sich bekennen? In der deutschen Minderheit kann man sich einfacher zwischen die Stühle setzen. Aber natürlich bekennen wir uns auch zur deutschen Kultur und Sprache.

Treffen Sie damit aufgrund der deutschen Besetzung in der Nazi-Zeit immer noch auf Ressentiments?

Die gibt es immer noch. Da werden zum Beispiel junge Leute aus der dänischen Minderheit als Nazis bezeichnet, wenn sie als Deutsche identifiziert werden. Aber vieles wird differenzierter gesehen. Im dänischen Fernsehen läuft zum Beispiel gerade eine Serie, die zeigt, dass auch Dänen bei den Nazis mitgemacht haben. Und auf deutscher Seite beginnen wir nach einer langen Zeit des Schweigens die Geschichte aufzuarbeiten – mit einem Lernort auf dem Knivsberg. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren es die Bibliothekare der deutschen und dänischen Minderheit, die die ersten zaghaften Schritte aufeinander zu machten.

Wie sieht es anderswo mit den Rechten für die Minderheiten aus?

Das hängt davon ab, ob die Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten ratifiziert ist. Teilweise sind nicht einmal die Menschenrechte gesichert. In Thessaloniki habe ich gerade die Mazedonier in Nordgriechenland besucht. Sie haben weder Versammlungsfreiheit noch das Recht, einen eigenen Verein zu gründen.

Wie machen Sie Ihre Erfahrungen für andere Minderheiten in Europa zugänglich?

Die FUEN hat viele sprachenbezogene und thematische Projekte und unterstützt die Tätigkeit der Minderheitengemeinschaften durch verschiedene Arbeitsgemeinschaften wie die für Bildung. Wenn ich zum Beispiel bei der türkischen Minderheit in Griechenland bin, dann kann ich die Schulsysteme unserer Minderheiten darstellen und sagen, dass sie öffentlich bezuschusst werden. Das ist dort unvorstellbar. Aktuell gibt es ein großes Problem mit Polen, das den Sprachunterricht für die deutsche Minderheit von drei Stunden auf eine Stunde wöchentlich gekürzt hat. Das ist Großmachtpolitik und hat etwas mit dem Verhältnis von Deutschland und Polen zu tun, aber die deutsche Minderheit wird deswegen diskriminiert.

Was können Sie da machen?

Wir unterstützen die Sprachlos-Kampagne der deutschen Minderheit in Polen und setzen uns in Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene für eine Lösung ein, etwa beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wir sind die Lobbyisten der Minderheiten in ganz Europa. Beispielsweise fordern wir in der Initiative Minority Safepack, dass das Problem der Staatenlosigkeit, das vor allem die Russen und Roma betrifft, in der EU gelöst wird.

Wie gehen Sie in der FUEN mit der Vielfalt Ihrer Mitglieder in politischen Fragen um?

Wir müssen von links bis rechts breit organisiert sein. Insgesamt ist der Konservatismus stark verankert, aber das ändert sich, es geht weg von der Folklore, hin zu gesellschaftspolitischen Herausforderungen wie Bildung, Arbeitsmarkt und politische Partizipation. Wir versuchen bei unseren Prinzipien zu bleiben: Demokratie und Respekt vor anderen Kulturen. Damit stoßen wir mitunter an unsere Grenzen.

Wo zum Beispiel?

Nicht erst seit Kriegsbeginn ist es schwer, in der Ukraine die Interessen der russischen Minderheit zu vertreten. Die FUEN hat mehrere Projekte in der Ukraine organisiert, um allen Minderheiten mehr Gehör zu verschaffen – der russischen Minderheit, aber auch den Krimtataren. In Estland zum Beispiel ist die Bildungssituation der russischen Minderheit sehr angespannt. Das ist ein Balanceakt.

Wie ist die Situation der anderen Minderheiten dort?

Sie leiden genauso unter dem Krieg wie die Ukrainer. Die Vorsitzende der dortigen griechischen Minderheit hat mir klargemacht, dass in Mariupol, das von Griechen mitbegründet wurde, gerade eine ganze Kultur zerstört wird. Aber Minderheitenpolitik ist trotzdem Friedenspolitik und wird ganz wichtig werden, wenn der Krieg irgendwann vorbei ist.

Ein großes Projekt der FUEN ist die gerade zum 4. Mal stattfindende Fußball-Europameisterschaft der nationalen Minderheiten in Kärnten. Welche Idee steckt dahinter?

Die Europeada ist mehr als nur ein Fußballturnier – Begegnung und Austausch der Minderheiten sowie die öffentliche Promotion stehen im Mittelpunkt. Es ist ein Fest der lebendigen Vielfalt Europas. Und jeder sieht, dass er mit seiner Minderheitenerfahrung nicht allein ist. Immerhin gehört jeder siebte Bürger in Europa einer ethnischen oder sprachlichen Minderheit an.

1 Jul 2022

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Ralf Lorenzen

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