taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Wo das dicke Wasser fließt
Jetzt schon eines der Pop-Highlights des Jahres: „Goldener Strom“, das neue Album von Rosa Anschütz ist tanzbar, balladesk und erfreulich rätselhaft.
So könnte Pop gern öfter sein. Zugänglich, sperrig, bratzig, zärtlich. Auf ihrem [1][zweiten Album „Goldener Strom“] macht die Berliner Künstlerin Rosa Anschütz eigentlich nichts anderes, als zu Clubmusik zu singen. Was die Platte zu einem der Höhepunkte der ersten Jahreshälfte macht, findet sich in den Details.
Da ist die dunkel gefärbte Stimme, in den tiefen Lagen fast abweisend ausdruckslos; wenn sie spricht, meint man Verletzlichkeit herauszuhören. Ihre auf Englisch, im Titelsong ebenfalls auf Deutsch gesungenen Texte, die eher rätselhafte als klare Botschaften verkünden, gehen mit den kalten Synthesizerklängen eine unlösbar feste Verbindung ein. Bei Rosa Anschütz sitzt irgendwie alles auf Anhieb, als hätte sie nie etwas anderes getan.
„Ich bin eine Insel geworden / Und bereue alles“, deklamiert sie im von hohl dröhnenden Bässen getragenen und von Synkopen vorangetriebenen Titelsong. Seit Frank Zappas Hit „Bobby Brown Goes Down“ kann man Zeilen wie „Und ich folge dem goldenen Strom“ zwar nicht mehr so ohne Weiteres als etwas Harmloses betrachten, aber man nehme einfach einmal an, dass es bei Rosa Anschütz um Wasser geht, das „dicke Wasser“ eben.
Genau genommen ist die Musik nicht durchgehend für die Tanzfläche gedacht, ein Drittel der neun Nummern braucht kaum Beat, bewegt sich balladesk langsam, doch vor Rührigkeit bewahren sie ihre elektronischen Klänge, die für ungemütliche Wärme als Gegengewicht sorgen. Geeignet, vom Pop enttäuschte Ohren zu bekehren.
28 May 2022
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