taz.de -- Erwartungen beim Dating: Mehr als das Minimum
Die Erwartungen von Frauen an Männern beim Daten sind so gering – der geringste Respekt reicht aus, um sie zum Jubeln zu bringen. Das muss sich ändern.
Stell dir vor, du bist ein cis Mann. Du bist ganz nett, vergewaltigst niemanden und respektierst in der Regel anderer Leute Grenzen. Und alle Frauen jubeln. Irgendwie smart: So lange kollektiv daran arbeiten, die Erwartungen von Frauen zu dämpfen, bis es ausreicht, ihnen basic Respekt entgegenzubringen, um sie zu beeindrucken. Nicht mal ich würde Limbo unter unseren Ansprüchen an cis Männer hindurchschaffen.
Eine gute Freundin erzählte mir einmal, wie sie sich in ihren damals neuen Freund verliebt hatte: „Er hat mir angeboten, bei ihm zu übernachten, damit ich nicht so weit nach Hause fahren muss. Und dann hat er mir einfach das Sofa bezogen und gar nichts bei mir versucht!“. Sprich: Er machte ihr einfach so ein freundliches Angebot und zwar ganz ohne den Hintergedanken, sie dabei zum Sex zu drängen. Toller Typ.
Wenn Frauen von einem richtig guten Date mit einem Mann erzählen, klingt das oft so: „[1][Ich habe nein gesagt] und er hat wirklich aufgehört!“ Versuch dir für einen Moment vorzustellen, ein Mann würde so von einem Date mit einer Frau erzählen. Unser Gegenüber als menschliches Wesen wahrzunehmen und es auch so zu behandeln, wird bei Frauen und Queers vorausgesetzt. Niemand bricht in Begeisterung aus, wenn wir die Person mit einem Mindestmaß an Respekt behandeln. Das ist auch gut so. Es sollte nämlich einfach die Grundlage jeder zwischenmenschlichen Interaktion sein. Wieso applaudieren wir cis Männern dann, wenn sie es schaffen, [2][sich an diesen Mindeststandard zu halten?]
Von niemandem Sex erwarten
Die Antwort ist offensichtlich: Weil wir so daran gewöhnt sind, dass sie es nicht tun. Kürzlich habe ich diesen Move auch gemacht: Ich erzählte einer Freundin von einem Date mit einem cis Mann. Es war dieselbe Freundin, die jetzt schon seit Jahren mit dem Mann zusammen ist, der sie auf seinem Sofa hatte schlafen lassen (er hat sich tatsächlich als toller Typ herausgestellt).
Besonders überzeugt hatte mich dieser Moment meines Dates: „Ich habe gesagt: Ich weiß nicht, ob ich mich gerade bereit für Sex fühle. Da lag ich schon halb nackt in seinem Bett. Und er so: Cool, dann können wir ja einfach knutschen und kuscheln!“ Ich sah meine Freundin erwartungsvoll an. Sie guckte zurück mit einem Blick, der sagen wollte: „Merkst du selbst, ne?“ Und dann merkte ich es selbst.
Ja, ich hatte mich durch seine Reaktion wohlgefühlt. Gleichzeitig sollte es Standard sein, [3][von niemandem Sex zu erwarten] und erst recht niemanden unter Druck zu setzen, mit einem zu schlafen. Leider ist das nicht Standard. Viel zu oft habe ich mich in ähnlichen Situationen wiedergefunden, in denen mein männliches Gegenüber sich enttäuscht umdrehte oder die ganze Nacht über insistierte. Wenn wir wollen, dass respektvolles Datingverhalten bei Männern Standard wird, sollten wir anfangen, es so zu behandeln. Das heißt auch: Nichts unter diesem Standard zu akzeptieren. Und mehr zu erwarten als das absolute Minimum.
16 May 2022
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
In Italien fordern Schilder Besucher*innen zum küssen auf. Das erinnert unseren Autor an den ersten Kuss – und die Politik der Gefühle dahinter.
Wer ist „queer genug“? Unsere Kolumnistin findet, diese Frage bringt uns nicht weiter. Denn genau so wenig kann man schön oder reich genug sein.
Kann man nur mit Partner*in glücklich sein? Nein. Wir sollten uns öfter gegen unbefriedigende Beziehungen entscheiden.
Der Podcast „Hörtsblatt“ versucht Dating-Apps zu ersetzen. Dabei liefert er Unterhaltung und Selbstironie. Aber manchmal wird es auch etwas zu ernst.
Schwärmen gilt als Teeniekram, Mädchen bereiten sich damit angeblich auf Beziehungen vor. Doch aktuelle Studien sagen etwas anderes.
Oftmals handeln Männer sehr sorglos, wenn es um das Thema Verhütung geht. Dabei wäre es doch nicht nur woke, sich damit endlich auseinanderzusetzen.
Transsein bringt auch heute noch Rollenklischees durcheinander, von Gender bis Klasse. Sachdienliche Abschweifungen zur eigenen Transition.