taz.de -- Gericht bestätigt Reichsbürger-Kündigung: Urteil mit Signalwirkung

Die Hamburger Polizei hat einen Angestellten gekündigt, weil er Reichsbürger-Ideologie verbreitet hat. Das Arbeitsgericht bestätigt die Kündigung.
Bild: Das Grundgesetz: Wer es ablehnt, darf nicht bei der Hamburger Polizei arbeiten

Das Urteil ist rechtskräftig. Am 22. April entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg, dass die Kündigung eines Angestellten im Polizeidienst zulässig war. Der Kläger hatte gegen die Entscheidung Berufung eingelegt. Die Nähe zu reichsideologischen Positionen unterlaufe aber das erforderliche Mindestmaß an Verfassungstreue, urteilte das Gericht. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen. Eine Entscheidung mit Signalwirkung.

Seit dem Juli 2019 war der Mann bei der Stadt Hamburg beschäftigt. Im Objektschutz beobachtete der ehemalige Angestellte Generalkonsulate und jüdische Einrichtungen.

Privat wurde er aber politisch. Ein Video auf seiner Homepage beschreibt er so: „#3 Talk About… Ist Deutschland besetzt oder frei? Einfach mal frei nach Schnauze!“ Weiter führte er aus, dass das Grundgesetz ein „Scheißdreck von Verfassung“ sei. Das Gesetz stamme „von unseren Besatzern“ und sei eine „nette Art Betriebsordnung“, Deutschland sei ein „besetztes Gebiet“. Es sind reichsideologische Behauptungen, mit denen die Existenz der Bundesrepublik und die Legitimität ihres Rechtsstatus angezweifelt und angegriffen werden.

Auch das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz (VS) zählt den Mann zu den „[1][Reichsbürgern] und Selbstverwaltern“. Die Stadt sprach am 12. November 2020 die fristgerechte Kündigung zum 31. Dezember des Jahres aus.

Das LAG erklärte nun, dass „das Maß“ der einem „Beschäftigten des öffentlichen Dienstes abzuverlangenden Loyalität“ sich nach der Stellung und dem Aufgabenkreis richtet. Mit Blick auf dem Kläger betonte das Gericht allerdings, er müsse „ein Mindestmaß an Verfassungstreue insoweit aufbringen, als er nicht davon ausgehen dürfe, den Staat, die Verfassung oder deren Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen“.

In Zeiten der Pandemie sind reichsideologische Position gerade im Spektrum der Querdenker:innen und anderer Coronaleugner:innen virulent. Der Hamburger VS [2][beobachtete im Zeitraum von 2020 bis 2021] einen Anstieg von deren Anhänger:innenschaft von 175 auf 259 Personen. Deren Zahl steigt bundesweit: Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellte fest, dass sich die Szene um 1.000 Personen auf 2.100 Anhänger:innen fast verdoppelte. Tendenz weiter steigend.

Über Jahrzehnte wurden sie als „Spinner“ abgetan. Als im Oktober 2016 ein Reichsbürger im bayrischen Georgensmünd aber [3][einen Polizisten erschoss], änderte sich beim Bundesinnenministerium die Wahrnehmung. Die hohe Gewaltbereitschaft und Waffenaffinität offenbarte erst am 20. April wieder: Im baden-württembergischen Boxberg schoss ein Reichsbewegter minutenlang auf Polizeikräfte, verletzte einen Polizisten und zündete schließlich sein Haus an.

29 Apr 2022

LINKS

[1] /Reichsbuerger/!t5009452
[2] /Verfassungsschutz-berichtet-in-Hamburg/!5758405
[3] /Archiv-Suche/!5347549&s=Georgensm%C3%BCnd&SuchRahmen=Print/

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Andreas Speit

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