taz.de -- Zweite Staffel ARD-Serie „All you need“: Vorabendmelodram in richtig schwul

Im Ersten kehrt die schwule Clique aus „All you need“ zurück. Es gibt schnellen Sex, schöne Männer und Drama – mit emotionaler Handbremse.
Bild: „Date Night“ – Levo lernt eine neue Seite von Andreas kennen

Beziehung verkackt, besten Freund vergrault, unglücklich mit dem Studium, aber kein Mumm, es Mama zu beichten. In der zweiten Staffel der [1][ARD-Serie „All you need“] bekommt Vince (Benito Bause) noch mehr ganz normale Probleme, als er ohnehin schon hatte. Er ist immer noch verpeilt und hat ein charmantes Lächeln, neuerdings kommt er damit aber nicht mehr so leicht überall durch.

Das Schöne an „All you need“ ist, dass die Serie so richtig schwul ist. Das muss man ARD-Degeto und UFA Fiction lassen: Sie haben eine „schwule Serie“ versprochen – und geliefert. Mit schnellem Sex in Toiletten und Saunen, mit schönen Männern so weit das Auge reicht, Drag Queens, Tuntigkeit, Rugby und Draaamaaaaa. Schade ist, dass die Serie trotz allem recht bieder rüberkommt. Monogamie-normativ; oft übererklärt. Mit wenig Vertrauen ins Publikum.

Aber das ist auch nur der Anfang. Denn eine der ersten deutschen Fernsehproduktionen, die fast ausschließlich queere Figuren zeigen, muss ja nicht alles auf einmal liefern. Das queere Fernsehen lernt erst laufen. „All you need“ ist, was es ist, unaufdringliches Vorabendmelodram, gut gespielt und mit hohem ästhetischem Anspruch – darin bleibt es sich auch in Staffel 2 treu.

Weil Vince dummerweise mit dem Mann seines besten Freundes Levo (Arash Marandi) geschlafen hat, redet der nicht mehr mit ihm. Obendrein ist Vinces vielversprechende Romanze mit Robbie (Frédéric Brossier) kaputt. Allein Sarina (Christin Nichols) hält weiter zu allen, ist aber zusehends genervt davon, ihren Freunden deren Beziehungsscherben hinterherzufegen.

Probleme in der Wahlfamilie

Überhaupt, Sarina profitiert am meisten in der neuen Staffel. War sie vorher als ewige beste Freundin bloße Staffage, verkörpert sie jetzt die Tragik des heterosexuellen Rads am Wagen. Ob sich diese ganzen um sich selbst drehenden Jungs schon mal gefragt hätten, will sie wissen, wie es sich anfühlt, wenn einem die Wahlfamilie auseinanderfliegt – nur weil irgendjemand mit irgendwem geschlafen hat?

Möchte man fies sein und vergleichen mit ähnlichen US-Formaten wie „Looking“ oder [2][„Girls“], dann fällt auf, dass „All you need“ mit emotionaler Handbremse cruist. Konflikte zwischen den Figuren sind oft minutenschnell gelöst. Ein Tag am See macht alles gut. So ist die Serie gut verdaulich, geht aber nicht unter die Haut.

Eine Schicht tiefer geht es aber um mehr: Familie, Akzeptanz und „Ankommen“, und wie Menschen nun mal Unterschiedliches darunter verstehen. Dieses Thema immerhin ist für queeres Fernsehen perfekt gewählt. In Staffel 1 war da noch mehr Sprengstoff drin – Stadt-Community versus Vorstadt-Isolation, Polyliebe versus Monogamie. In Staffel 2 muss man sich fragen, wie lange sich diese Figuren noch weiter erzählen lassen. Aber nicht schlimm, wir brauchen nicht „All you need“ bis in alle Ewigkeit. Zahllose weitere L und G und B und T-Serien und Filme sind sicher längst in der Mache. Das Zeitalter des Hetero-Vorstadt-Familien-Fernsehens ist vorbei. Oder?

21 Apr 2022

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AUTOREN

Peter Weissenburger

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