taz.de -- Rauswurf des Stardirigenten Gergijew: Zu lange mitdirigiert
Gergijew hat nicht nur die Müncher Philharmonie, sondern auch Putins Kulturpolitik mitdirigiert. Sein Rauswurf ist begründet.
Dass der russische Stardirigent Waleri Gergijew für das weltberühmte Orchester Münchner Philharmoniker nach seinem Rauswurf durch den Oberbürgermeister der bayerischen Landeshauptstadt, Dieter Reiter (SPD), am Dienstagvormittag nicht mehr am Pult steht, muss man wirklich nicht bedauern.
Als Galionsfigur eines Klangkörpers hat Gergijew [1][Vorbildfunktion]. Dieser hat er schon in der Vergangenheit mit fragwürdigen Äußerungen zur Besetzung der Krim, homophoben Äußerungen und mit Ressentiments gegen die Aktivistinnen von Pussy Riot nicht entsprochen.
Dass er sich bis zum heutigen Tag nicht zum brutalen Angriffskrieg geäußert hat, den sein persönlicher Freund, der russische Präsident Wladimir Putin, vergangene Woche vom Zaun gebrochen hat, für den Gergijew auch im Rat für Kunst und Künste im Kreml sitzt, passt da nur ins reaktionäre Bild.
Auch wenn Gergijew nach wie vor dem Mariinski-Opernhaus in Sankt Petersburg vorsteht, seine millionenschwere Karriere hat nun Kratzer bekommen. Der 68-Jährige mag noch so ein genialischer Maestro sein, der – statt mit Taktstock – stets mit bloßen Händen und rudernden Armen auch heftige Dissonanzen seiner MusikerInnen dirigiert.
Weit [2][heftigere Dissonanzen] werfen in der russischen Gesellschaft nun die Särge auf, gefüllt mit den beim Angriffskrieg in der Ukraine getöteten russischen Soldaten. Nicht nur diese Opfer sind in Russland zu beklagen.
Viele Russ:Innen haben Verwandte in der Ukraine und ihnen wird berichtet von der Streumunition, die Zivilisten tötet, von der Massenvernichtung der Kalibr-Marschflugkörper, deren Sprengkraft vom angeblichen Brudervolk nur Schutt und Asche übrig lässt.
Niemand, auch nicht ein Waleri Gergijew, wird in Russland über diesen menschenverachtenden Wahnsinn hinweggehen können. Auch der preisgekrönte Dirigent wird sich den massiven Kriegsverbrechen stellen müssen und er wird sein Bild von Putin als glorreichem Herrscher korrigieren müssen.
2 Mar 2022
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der Berliner Musiker Yuriy Gurzhy über Künstlerkollegen mit Waffen, Gespenster der Sowjetunion und das Mantra von der Schlangeninsel.
Im Berliner Sage-Restaurant stapeln sich die Hilfsgüter für Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen. Ein Besuch zwischen Kisten und Tüten.
Chefdirigent der Münchner Philharmoniker und gleichzeitig Putinfreund? Geht nicht, findet Münchens OB und schickt Waleri Gergijew in die Tundra.