taz.de -- Die Wahrheit: Peace am Stolperstart
Wieviele am Sonntag in Berlin auf der Friedensdemo waren? Knifflige Frage, ein Mensch zumindest protestierte meinungsstark ganz allein.
Nichts ist geklärt. Noch nicht mal die Zahlenlage, an keiner der Fronten, die uns gerade den gemütlichen Frühstückstisch mit veganer Rama verhageln, nichts ist geklärt und schon gar nicht klar dieser kommenden nebulösen, Tage, Wochen und Monate. Nichts ist geklärt, noch nicht mal wie viel Volk so ganz ungefähr pi mal Daumen auf der Berliner Demo für den Frieden war, jetzt Sonntag am großen Brandenburger Tor und drumherum bis zur Siegessäule, dem Reichstag, und der Kanzlerwaschmaschine, wie die Hauptstadt gerne den Betonklotz tituliert.
Die „Tagesschau“ sprach recht nüchtern, passend zu der derzeit vielerorts als „nüchtern und sachlich“ gelobten ARD-Kriegsberichterstattung, von „mehreren Zehntausend Teilnehmern“, die Berliner Polizei erhöhte auf „eine Teilnehmerzahl im unteren sechsstelligen Bereich“, also definitiv ein paar Zehntausende mehr, gut so, und für die Demoveranstalter und die taz waren es gleichrund eine halbe Million Menschen. Bingo!
Ob 40.000 oder 400.000 sonntägliche Manifestierende: fest steht, dass ich beim Herumstromern auf der Veranstaltung mit garantiert mehr als „mehreren Zehntausend“, nur einen Menschen erblickte, der sich allein auf weiter Flur und mit einem Schild bekleidet vor die nahe Schweizer Botschaft gestellt hatte. Die liegt mehr als fußläufig und ebenfalls betoniert in Sichtweite des Kanzleramts, wo ordentlich und doch sehr plötzlich die ukrainische Fahne gehisst ward, nicht so beim Schwyzer.
Mehr als Portokasse machen
Auf dem kaffeefilterbraunen kompakten Pappschild, das ganz ohne den obligatorisch anmutenden ukrainisch blau-gelben Flaggenschmuck auskam, und das der Mensch, von außen als Mann ersichtlich, in guter US-Tradition einfach nur hochhielt, stand fett mit Edding schlicht: „Scheiß Schweiz“. Ein klares Statement, das von der Nachrichtenlage zumindest bis Montagnachmittag voll gedeckt war, berief sich doch der politische Entscheiderarm der unverbrüchlichen Eidgenossschaft solange auf seine „Neutralität“. Mit der hat sich bekanntlich nicht nur in Bezug auf Russland, sondern auch in anderen kriegerisch verheerten Zeiten mehr als Portokasse machen lassen.
So nahm es nicht Wunder, dass der Schweizer Bundespräsident Cassis erstmal ausgeschlossen hatte, trotz des Putin’schen Angriffskrieg auf die Ukraine, „Sanktionen zu verhängen“. Scheiß Schweiz, du „wichtiger Finanzplatz für Russen“, wie das gegenwärtig gefühlt einzige Landeskennzeichen auf allen Tickern lautet.
Ich wollte gerade dem Mann mit dem „Scheiß Schweiz“-Schild wohlwollend am heiligen Sonntag zuwinken, als mich ein geschäftig wirkender Berliner, Typ Geschäftsmann mit Goldsonnenbrille, Einstecktuch und Kudamm-Expertise ansprach. „Junge Frau“, allein diese Anrede wies ihn, ob meiner 54 Lenze, als Urberliner aus, „junge Frau, der Herr da soll sich das mit seiner Unflätigkeit nochmal jut überlegen, wa?“ Ich guckte ihn fragend an. „Wissen se, ich war ja auch eben auf der Demo. Frieden is jut, aber Geld zählt.“
1 Mar 2022
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