taz.de -- Sexualisierte Gewalt in der Kirche: Es war nicht nur der Papst

Die Entschuldigungsforderung von Bischof Bätzing an Benedikt ist wohlfeil. Besser wäre es, wenn die katholische Kirche ihre Geheimakten öffnen würde.
Bild: Endlich Schluß mit der Vernebelung: die Akten sollten aus den Archiven der Kirche zur Aufarbeitung

Joseph Ratzinger solle sich bei Missbrauchsopfern entschuldigen. Das forderte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, [1][in der Talkshow „Anne Will“]. Angesichts der Verfehlungen des emeritierten Papstes, die ein kürzlich erschienenes Gutachten publik machte, ist das eine berechtigte Forderung: Viele wären von den Übergriffen durch Pater H. und andere Täter verschont geblieben, hätten [2][Benedikt und andere Personalverantwortliche] damals hingeschaut.

Und viele Betroffene haben bis heute von der Kirche weder eine offizielle Entschuldigung gehört, noch Unterstützung erfahren. Wenn ein Bischof nun öffentlich ein Umdenken einfordert, könnte das bedeuten, dass die katholische Kirche ihre vielen Missbrauchsskandale langsam als systemisches Problem begreift.

Leider spricht dafür wenig: Papst Benedikt ist alt und lang außer Dienst, sämtliche Fälle sind verjährt – da kostet eine medienwirksame Attacke wenig. Hätte Bätzing wirklich etwas gewagt, hätte er verkünden können, dass man künftig alle Personalakten aus den Geheimarchiven der Diözesen einer unabhängigen Überprüfung zugänglich macht – und die übliche Aktenvernichtung nach 10 Jahren einstellt. Stattdessen hat er nur auf Ratzingers fragwürdige Berater hingewiesen.

Da ist sie wieder, die gute alte katholische Scheindebatte: Ein paar Leute haben sich schuldig gemacht, weg mit ihnen! So aber funktioniert Aufarbeitung nicht. Es ist zwar nicht egal, ob Ratzinger sich entschuldigt. Doch bedarf es jetzt vor allem endlich einer Erkenntnis: Die römisch-katholische Kirche als Ganze hat sich schuldig gemacht.

Die übermäßige Machtfülle der Bischöfe, das Fehlen von Gewaltenteilung im Kirchenrecht und die erdrückende rigide Sexualmoral haben eine Atmosphäre geschaffen, in der sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch gedeihen – noch immer. Es wird Zeit, dass die Aufarbeitung der katholischen Missbrauchsskandale in staatlicher Verantwortung geschieht, etwa durch eine juristische Untersuchungskommission. Hierbei könnte die Kirche helfen – wenn sie es denn ernst meint mit der Aufklärung.

31 Jan 2022

LINKS

[1] https://www.youtube.com/watch?v=iEc0jf7IVWE
[2] /Kardinal-Marx-ueber-sexuellen-Missbrauch/!5827470

AUTOREN

Nina Apin

TAGS

sexueller Missbrauch
Papst Benedikt XVI.
Katholische Kirche
Papst Franziskus
Katholische Kirche
Katholische Kirche
Reinhard Marx
Katholische Kirche

ARTIKEL ZUM THEMA

Neue Kurienverfassung: Revolution auf dem Papier

Gerade für Frauen kann die neue Kurienverfassung wichtig werden. Doch der Verfassungsbuchstabe ist das eine, die Verfassungsrealität das andere.

Interview von Kardinal Marx: Verächtlich und weltfremd

Kardinal Marx bringt Sexualität und unterschiedliche Lebensentwürfe in einen unzulässigen Zusammenhang – was für eine diffuse Sicht auf das Leben.

Reform der katholischen Kirche: Die Machtfrage gestellt

Die katholische Kirche kann nicht mehr so bleiben, wie sie ist. Die Frage ist, ob sie sich im Sinne ihrer liberalen Mitglieder ändern wird.

Kardinal Marx über sexuellen Missbrauch: Erschütterung als Dauerzustand

Es reicht nicht, sich bei den Opfern zu entschuldigen. Die Kirche muss sich reformieren und Konsequenzen ziehen.

Kardinal reagiert auf Gutachten: Marx will bleiben

Kardinal Marx hat sich erstmals Fragen zum Missbrauchsgutachten gestellt. Doch zur Verantwortung des ehemaligen Papstes schweigt der Erzbischof.