taz.de -- Russland und der Westen: Die Zeichen stehen auf Eskalation

Nach den ergebnislosen Gesprächen zwischen Russland und dem Westen fürchten viele in der Ukraine weitere Versuche Moskaus, das Land zu destabilisieren.
Bild: Ukrainische Marinesoldaten in der Nähe eines Stützpunktes im Hafen von Berdjansk

Berlin taz | Von Resignation über Enttäuschung bis hin zu wachsenden Ängsten vor einem noch aggressiver auftretenden Russland: Das ist der Tenor der Berichterstattung in ukrainischen Medien [1][nach mehreren Gesprächsrunden Russlands mit USA, Nato und OSZE in dieser Woche], die ohne konkrete Ergebnisse endeten.

Man sei in einer Sackgasse angelangt, zitiert der ukrainische Dienst von BBC den Militärfachmann Michael Kofman vom Kennan Institute. Zwar sei es erfreulich gewesen, dass beide Seiten den Wunsch hatten, sich mehrere Stunden an den Verhandlungstisch zu setzen, resümiert das Portal strana.news. Gleichzeitig werde aber die Sprache immer bedrohlicher. Der Westen drohe mit Sanktionen, Russland mit einer militärischen Antwort. Und so sei auch ein völliges Scheitern der Verhandlungen und die von Russland angekündigte „militärische Antwort“ nicht mehr auszuschließen.

Im ukrainischen Dienst von BBC wundert sich Alexander Gabujew vom Moskauer Carnegie-Center, dass Russland in aller Öffentlichkeit unter Diplomaten eher unübliche Begriffe wie „rote Linien“ oder „nicht zulässig“ verwende.

Auch die für den britischen Thinktank Chatham House tätige russische Politologin Lilia Schewzowa glaubt in der renommierten nv.ua (der früheren Nowoje Wremja), „dass der Kreml mit seiner Drohung Fenster zu zerschlagen, aggressive Hormone aktiviert … Russland kann überspitzt formulieren, wenn es sicher sein kann, dass sich sein Gegenüber an die Vorgaben des Protokolls hält. Doch was passiert, wenn das Gegenüber dieses Verhalten kopiert?“

Kollektives Handeln

Putin, so Schewzowa, wolle die Ära Gorbatschow und Jelzin endgültig ad acta legen. „Folglich ist es notwendig, die durch den Zusammenbruch der UdSSR geschaffene frühere Ordnung aufzuheben und ihren Architekten, die USA, zu zwingen, das Spiel von vorn zu beginnen“, so Schewzowa. Letztendlich treibe Russland den Westen geradezu zu kollektivem Handeln.

Unterdessen wurde bekannt, dass offensichtlich mehrere Internetportale staatlicher ukrainischer Stellen Opfer von Hackerangriffen geworden sind. Das meldete der ukrainische Dienst von BBC. Am Freitagvormittag seien die Seiten der Regierung, des Außen-, des Sport- und des Energieministeriums nicht erreichbar gewesen.

Der bekannte ukrainische Blogger und Korrespondent Denis Trubetskoy fürchtet daher etwas anderes: „Während die Welt vor allem über die Gefahr einer direkten russischen Invasion redet, gehen der hybride Krieg und die gezielte Destabilisierung der Lage [2][in der Ukraine] immer weiter. Ebenfalls wie die schleichende Invasion Russlands in der Ostukraine. Im westlichen Diskurs wäre es enorm wichtig, diesen Konflikt nicht auf den sogenannten neuen großen Krieg zu reduzieren“, so Trubetskoy.

„Dass den Westen fast nur die Verhinderung des ‚großen Kriegs‘ interessiert, nützt vor allem Russland und ist wohl auch eines der Ziele Moskaus, das unter diesem Schirm doch einiges durchsetzen könnte. Die Sicherheit der Energieobjekte ist dabei eines der Themen, die von ukrainischen Experten mit größter Sorge wahrgenommen werden, weil Strom in diesem Winter ohnehin recht knapp ist.“

14 Jan 2022

LINKS

[1] /Nato-Russland-Treffen/!5828088
[2] /Nach-US-Russland-Treffen-in-Genf/!5825173

AUTOREN

Bernhard Clasen

TAGS

Russland
Nato
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
Wolodymyr Selenskij
Ukraine
Ukraine
Russland
Ukraine
Nato
Russland
Ukraine
Russland

ARTIKEL ZUM THEMA

Kriegsangst in der Ukraine: (Noch) kein Grund zur Panik

Steht ein Einmarsch Russlands bevor? Politiker*innen versuchen, die Bevölkerung zu beruhigen. Westliche Medien geraten in die Kritik.

US-Außenminister Blinken in der Ukraine: Rückendeckung für Kiew

Bei einem Kurzbesuch in der Ukraine warnt Blinken vor einer kurzfristigen Aufstockung russischer Truppen an der Grenze zum Nachbarn.

Ukrainischer Ex-Präsident vor Gericht: Vorwurf Staatsverrat

Petro Poroschenko ist in die Heimat zurückgekehrt. Er wird beschuldigt, Kohlegeschäfte mit pro-russischen Separatisten gemacht zu haben.

Ukraine-Russland-Konflikt: Schlechte Verlierer

Russland klingt, als hätten die USA den Kalten Krieg verloren. Es hätte gerne seine Einflusszone mit Staaten eingeschränkter Soureränität zurück.

Ukraine-Russland-Konflikt: Krieg? Wir doch nicht

Die Verhandlungen zwischen Russland und dem Westen blieben ohne Ergebnis. Der Druck aus Moskau wächst – auch auf die Ukraine.

Treffen der EU-Verteidigungsminister: Einigkeit in Brest

Alle 27 EU-Staaten verneinen die Forderungen Russlands nach einem Ende der Nato-Osterweiterung. Ansonsten setzt man auf Dialog.

Nato-Russland-Treffen: Reden, aber nicht verstehen

Bei Gesprächen zwischen Russland und den Nato-Staaten beharrt jede Seite auf ihrem Recht. Die Ukraine hängt derweil weiter in der Luft.

SPD-Fraktionschef über russische Ängste: „Die Nato bietet keine Garantie“

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnt vor einem Konfrontationskurs mit Russland – und träumt von Allianzen ohne Militär.

Nach US-Russland-Treffen in Genf: Skepsis in Kiew

Die USA, Russland, die Nato und die OSZE verhandeln über die Ukraine. Im Land selbst befürchtet man indes, dass eigene Interessen außen vor bleiben.

Antrittsbesuch von Baerbock in den USA: Geschlossene Front

Außenministerin Baerbock und ihr US-Amtskollege Blinken demonstrieren Einigkeit, sollte Russland militärisch in der Ukraine eingreifen.