taz.de -- Sondierungen zur Regierungsbildung: Jamaika ist nicht tot
Die Hürden für eine Ampelkoalition sind besonders in der Finanzpolitik noch sehr hoch. Am Ende könnten sich die Grünen flexibler zeigen als die FDP.
Ist Jamaika tot? Abwarten. Die Lage ist offener, als es scheint – auch wenn [1][Armin Laschet] wie ein Dead Man Walking wirkt. Aber die SozialdemokratInnen und diejenigen Grünen, die lieber mit der SPD regieren wollen, sollten sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. Es läuft keineswegs alles automatisch auf eine Ampel unter einem Kanzler Olaf Scholz zu. Jamaika, ein Bündnis aus Union, [2][FDP und Grünen], hat durchaus noch eine kleine Chance.
Dafür gibt es vier Gründe. Erstens: Die Verhandlungen zwischen SPD, FDP und Grünen werden langwierig und zäh, auch wenn die Beteiligten gerade so tun, als seien sie schockverliebt. SPD und Grüne wollen in der Finanzpolitik, die die Grundlage für vieles ist, etwas grundsätzlich anderes als die FDP. Diese Kluft ist schwer zu überbrücken, ein paar Schattenhaushalte helfen da nicht.
Auch ein Finanzminister Christian Lindner ist für SPD und Grüne im Grunde schwer tragbar, denn das Blockadepotenzial für die Regierungsarbeit wäre immens. Es gibt also enorm hohe Hürden für die naheliegende Ampeloption. Zweitens: Die FDP würde Verhandlungen mit der Scholz-SPD sofort platzen lassen, wenn sich die Jamaika-Option materialisieren ließe. Lindner hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er den Lagerwechsel nicht will.
Drittens: Die Grünen sind ideologisch flexibler als die [3][Lindner-FDP]. Wichtige Grüne finden, dass man mit der Union mehr Klimaschutz schaffen kann als mit der SPD. Robert Habeck tendiert zur bürgerlichen Mitte, er hat in Schleswig-Holstein 2017 die Koalition mit CDU und FDP einem Ampelbündnis vorgezogen. Viertens wäre der Diskurs nach langen, gescheiterten Ampelverhandlungen ein völlig anderer als heute.
Dass die Union die Wahl verloren hat, wäre kein großes Thema mehr. Stattdessen ginge es darum, dass das Land eine Regierung braucht. Kurz: um staatspolitische Verantwortung. Würde die Grünen-Basis in einer solchen Situation gegen Jamaika votieren? Selbstverständlich nicht. Wenn Olaf Scholz Fehler macht und die Union geschäftsfähig bleibt, ist alles möglich.
5 Oct 2021
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Grüne und FDP entscheiden sich für Sondierungen mit der SPD. Liberalen-Chef Christian Lindner geht damit das größte Risiko ein.
Die SPD will nach separaten Gesprächen mit Grünen und FDP aufs Tempo drücken. In der Union geht die Debatte um eine personelle Neuaufstellung weiter.
Bereits am Freitag will SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey mit den Grünen erste Gespräche führen. Dennoch hält sich die SPD alle Optionen offen.
Dem CDU-Chef droht die Entmachtung, doch immerhin der Streit um den Fraktionsvorsitz scheint abgewendet. CSU-Chef Söder hatte zuvor Scholz zum Wahlsieg gratuliert.