taz.de -- Punk-Ausstellung in München: Die Gefahr kam immer von links

In den Achtzigern traf die Subkultur noch auf eine beinharte CSU. Die Ausstellung „Pop Punk Politik“ erinnert an die repressiven Zeiten in München.
Bild: Freiwild für die Schwarzen Sheriffs: Punks auf dem Münchner Marienplatz

Wie wird der Gesamtgrunzwert eines Panksongs aus München bemessen? Erstens, in der abweichenden Schreibweise. München war später dran als andere westdeutsche Großstädte, den Urknall von 1976 hörten einige Kunststudenten Ende des Jahrzehnts, erst in den frühen 1980ern wurde Pank mit breitem a tatsächlich zur eigenwilligen Jugendkultur. Oft war damals die Rede von den Harthof Panx, einer Gang aus einer Arbeitersiedlung im Norden der Stadt, die im Jugendzentrum „Milb“ nahe den BMW-Werken ihren Stomping Ground hatte, wo Konzerte und Teach-Ins gegen Umweltverschmutzung stattfanden.

Gesamtgrunzwert entstand zweitens in der leicht barocken Ausschmückung der Songtexte; zwischen „Clever&Smart“-Comicdiktion, Oskar-Maria-Graf-Schalk-im-Nacken und den Petitessen aus der Vorabend-TV-Serie „Königlich-Bayerisches Amtsgericht“ war die Action angesiedelt. Das weiche bayerische Idiom lässt die Reime immer ein Stück melodiös klingen, wie in dem Song „4er Tram“ von ZSD: „Samstagabend in der 4er Tram/Die Bullen fangens schlägern an/Egal, ob Du die Prügel ignorierst/Alle werden gleich kassiert.“

Kurz und bündig, von einer Gurkenraspel-Gitarre angetriggert, wird hier in anderthalb Minuten über ein Scharmützel von Ordnungshütern berichtet.

Einer von mehreren Songtexten, die in der Ausstellung „Pop Punk Politik. Die 1980er Jahre in München“ in der Monacensia (dem städtischen Literaturarchiv) im Münchner Hildebrandhaus im noblen Stadtteil Bogenhausen abgebildet sind. Zwischen einer Burschenschaftsvilla und dem russischen Generalkonsulat ist mit der Schau eine Zeitkapsel aus der Vergangenheit gelandet, die dem trägen und selbstzufriedenen München von heute einen Spiegel aus Zeiten vorhält, die nicht gerade zimperlich waren.

Schön daran, das Nebeneinander unterschiedlicher Stile, Moden und Weltanschauungen. [1][Auch Rainald Goetz,] Maxim Biller und Thomas Meinecke tauchen auf, Starautoren, die es aus dem 1980er-Subkultur-München längst auf die etablierte bundesweite Bühne gebracht haben. Aber, wie Ralf Homann, Kurator der Ausstellung, der taz erklärt, sind viele der ProtagonistInnen, Songs und Kunstwerke von damals unverdientermaßen in Vergessenheit geraten oder werden übersehen.

Held für einen Tag

Umso wichtiger, dass die aus der Pankszene kommende Performance-Künstlerin Rabe Perplexum, der erste offen schwule Stadtrat Münchens (und Westdeutschlands) Gert Wolter und [2][der Schriftsteller Andreas Neumeister] Platz eingeräumt bekommen.

„Gestern war man Held für einen Tag, heute entkommt man unerkannt durch die Fußgängerzone“, schreibt Neumeister in seinem zweiten Roman „Salz im Blut“, der sich auf die Suche „nach dem Herz von München“ macht und dabei auch den Mainstream-Sprachschrott der 1980er durchmalmt: „Was im Grunde jeder braucht, sind ein gefestigter Glaube, Freude am Hobby, Erfolg im Beruf. Durch die Forderung nach der 35-Stunden-Woche wird all das in Frage gestellt.“

Linke Errungenschaften wurden in den 1980ern zurückgedrängt. Es war ein Jahrzehnt der Repression, auch das belegt die Ausstellung anschaulich. Im März 1981 ließ [3][CSU-Ministerpräsident Franz Josef Strauß] verlauten, aus dem Umfeld der Hausbesetzerbewegung erwachse „eine neue terroristische Bewegung“.

Strauß und Kalter Krieg

Davon abgesehen, dass Hausbesetzungen in München nach wenigen Stunden geräumt wurden, nahm die Polizei im Oktober 1981 sieben teils minderjährige Personen aus der linken Szene fest und verknackte sie zu mehrjährigen Freiheitsstrafen. Auf das Konto ihrer Gruppe „Freizeit 81“ gingen einige Sprühereien und ein geworfener Molotow-Cocktail in ein Reisebüro.

Strauß hatte bereits als Kanzlerkandidat im Bundestagswahlkampf 1980 getönt, er sei „die Margret Thatcher Deutschlands“. Thatcherismus made in Bayern sollte das Bundesland radikal wirtschaftsliberalisieren und modernisieren, zugleich hatte der starre alte Obrigkeitsstaat der alleinregierenden CSU weiterhin Bestand. Den Kalten Krieg nutzten Strauß und seinen Adlaten zu einem simplen Feindbild: Die Gefahr kam immer von links.

Schon in ihrem Bandnamen nehmen ZSD Bezug auf das spezifisch bayerische Verständnis von Law&Order. Der namensgebende Zivile Sicherheitsdienst (ZSD) war der erste private Sicherheitsdienst in Westdeutschland. In den 1980er Jahren übernahm er Polizeiarbeit wie den Objektschutz des Atomkraftwerks Ohu. Zudem bewachte der ZSD im offiziellen Auftrag die Münchner U-Bahn.

Panks als Freiwild

Im Volksmund „Schwarze Sheriffs“ genannt, waren die Securities in schwarz gekleidet, wie US-Fernseh-Cops: Mit Schieberkäppi, Colt und Schlagstock patrouillierten sie durch U-Bahnhöfe und in fahrenden Zügen. Immer wieder kam es zu Übergriffen auf Fahrgäste und Passanten, bis dem ZSD 1989 der Auftrag entzogen wurde, waren Panks für sie Freiwild.

Der ZSD-Song „4er Tram“ hatte einen realen Hintergrund: 86 junge Leute, darunter viele Panks, wurden 1981 aus einer Straßenbahn am Bahnhof Karlsplatz/Stachus verhaftet und bei der Festnahme brutal von der Polizei misshandelt. Sie hatten gegen die Wohnungsnot in München mit einer mobilen Party demonstriert.

Mit anderen Pankbands waren ZSD auch an dem Undergroundsampler „Reifenwechsel leicht gemacht“ (veröffentlicht 1982) beteiligt, sein Cover darf in der Ausstellung nicht fehlen. Strauß (vorne) und der Hochkulturtempel Gasteig (hinten) sind abgebildet. In dem kunstvoll gestalteten Beiheft wird den Ahnen der Münchner Subkultur gedankt: darunter auch dem Filmemacher Herbert Achternbusch.

Achternbuschs „Gespenst“

Achternbusch sah sich und seinen Film „Das Gespenst“ (1982) einem Blasphemievorwurf ausgesetzt, woraufhin Bundesinnenminister Friedrich Zimmerman (CSU) die bereits zugesagte Filmförderung teilweise zurücknahm. Auf einem Foto in der Aufstellung sind „83 Gespenster“ zu sehen, darunter die Schauspielerin Irm Hermann, die wie andere Mitwirkende gegen die Einsparung der Filmförderung demonstrieren.

Gespenstisch ist auch, wie der Münchner Kreisverwaltungsreferent und spätere Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler (CSU) in den 1980er Jahren noch die Idee verfolgte, Aidskranke durch Tätowierung kenntlich zu machen. Die Ausstellung zeigt Fotos von Demonstrationen der Münchner Aidshilfe, der ersten bundesweiten Lobby ihrer Art.

Die Subkultur in München war bereits in den frühen 1980ern massenmedial geprägt. Man sieht das an dem Clip „Drei Minuten Ei“ von Lorenz Lorenz, einem Eigengewächs der Pankszene, dessen Video-Performances das damals neue Medium geschickt für sich nutzten. „Immer, wenn ich Glück hatte“, formuliert Andreas Neumeister in „Salz im Blut“, „hat es wie Pech ausgesehen.“

Gleichwohl sieht Ralf Homann die 1980er in München auch als Gründerzeit, in der kleine Läden wie das Off-Kino „Werkstatt“ und der unabhängige Plattenladen Optimal von Peter „Upstart“ Wacha im Do-it-Yourself-Verfahren gegründet wurden. Interviews mit den Macher:innen sind Teil der Ausstellung. Bis heute sind es wichtige Orte der Münchner Subkultur. Ihr Gesamtgrunzwert ist sehr hoch.

4 Jul 2021

LINKS

[1] /Buechner-Preisverleihung-in-Darmstadt/!5242880
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AUTOREN

Julian Weber

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