taz.de -- Treffen von Putin und Biden: Verkehrte Welt in Genf

Biden und Putin sprechen wieder. Das ist gut, doch die getrennten Pressekonferenzen der beiden Mächtigen brachten einige Gewissheiten ins Wanken.
Bild: Biden und Putin beim Treffen in Genf am Mittwoch

Russland und die USA schicken ihre im Frühjahr aus Washington und Moskau abgezogenen oder ausgewiesenen Botschafter wieder zurück an ihren Arbeitsplatz. Gemischte Expertengruppen beider Länder sollen sich in den nächsten Monaten um Lösungen beim zentralen Konfliktthema Cyberwar bemühen, um künftige Rüstungskontrollverhandlungen sowie um die Freilassung inhaftierter Personen auf beiden Seiten. Auch das persönliche Verhältnis zwischen den beiden mächtigen Männern aus Washington und Moskau ist nach dem [1][Putin-Biden-Treffen] am Rande des [2][G7-Gipfels] in Genf zumindest etwas besser geworden. Aus „Killer“ und „Sleepy Joe“ wurden „konstruktive Gesprächspartner“.

So weit, so gut und mehr, als nach all den pessimistischen Prognosen im Vorfeld des Gipfels zu erwarten war. Allerdings sorgten beide Präsidenten bei ihren Pressekonferenzen für einige Irritationen. Putin kann und muss man vieles vorhalten, doch sicher nicht mangelnde Intelligenz. Daher war sein Vergleich der von ihm unterdrückten russischen Oppositionsgruppen mit dem gewalttätigen Mob, der im Januar das Kapitol in Washington stürmte, nicht nur „vollkommen lächerlich“ (Biden), sondern ein zynischer Versuch der Desinformation.

Bidens fortgesetzte Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Russland wiederum ist richtig. Doch die selbstherrliche, ja geradezu messianische Rhetorik, mit der der US-Präsident sich selbst und die amerikanische Nation als Gralshüter der universellen Menschenrechtsnormen präsentierte, ist nicht nur schwer erträglich, sondern wirkt kontraproduktiv. Denn wer als US-Politiker versucht, Guantanamo, Abu Ghraib und andere Folterlager, die fortgesetzten Drohnenmorde oder die Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofs durch Washington vergessen zu machen oder zu verharmlosen, schürt die fatale Wahrnehmung, die seit 1948 universell gültigen Menschenrechtsnormen seien nur ein Instrument des „westlichen Imperialismus“ zur Durchsetzung seiner Interessen.

Auch die Presse- und Informationsfreiheit gehört zu den Menschenrechten. Dass Biden bei einem von über 1.500 Journalisten aus aller Welt beobachteten Gipfel mit hoher internationaler Relevanz lediglich eine vorab festgelegte Liste ihm vertrauter White-House-KorrespondentInnen zuließ- die zudem nur unkritische Fragen an ihren Präsidenten stellten- trug nicht gerade zur Stärkung der Presse-und Informationsfreiheit bei. [3][Putin] hingegen wurde bei seiner für alle nach Genf angereisten Medien offenen Pressekonferenz fast ausschließlich mit sehr kritischen Fragen westlicher Korrespondenten konfrontiert. Verkehrte Welt.

17 Jun 2021

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[1] /Gipfeltreffen-Biden-und-Putin/!5779610
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Andreas Zumach

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