taz.de -- Arbeitsbedingungen an Hochschulen: Sie wollen nicht mehr Hanna sein

Die Arbeit an Unis ist prekär. Um das zu ändern, braucht es für alle qualifizierten Wissenschaftler:innen Aussicht auf eine unbefristete Stelle.
Bild: Demo gegen Kurzzeitverträge an Hochschulen Anfang 2020 in Kassel

Das Video, das seit Tagen Wissenschaftler:innen in Rage bringt, ist hübsch gemacht. Darin ist eine animierte Doktorandin im weißen Kittel und mit Brille zu sehen – Hanna, eine Biologin. Vor rund drei Jahren hat das Bundesbildungsministerium das Video veröffentlicht, um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz – kurz WissZeitVG – zu erklären.

Mit dem Gesetz wollte die Bundesregierung die [1][prekäre Arbeitssituation von Nachwuchswissenschaftler:innen] verbessern. In dem Erklärvideo hört sich das jedoch ganz anders an. Befristete Verträge werden dort als innovationsfördernd gelobt, Entfristungen als unsozial gebrandmarkt. Wer schon während oder nach der Promotion eine Stelle auf Lebenszeit erhält, so kann man das Video verstehen, verbaut der nachfolgenden Generation die Karrierechancen.

Für Nachwuchswissenschaftler:innen, die sich über Jahre von Vertrag zu Vertrag hangeln, muss das wie blanker Hohn klingen. Unter dem Hashtag #IchBinHanna berichten sie von Zukunftsängsten, Leistungsdruck und unmöglicher Lebensplanung. Viele von ihnen sind 35 Jahre oder älter.

Von den prekären Arbeitsbedingungen an Hochschulen weiß der Bund schon lange – und dennoch ändert er kaum etwas daran. Im Gegenteil: Mit den Milliardenzuschüssen, die er über die [2][Exzellenzstrategie] und andere Förderprogramme verteilt, kettet er Hochschuljobs an Förderlaufzeiten. Dass die Unis solche Drittmittel gerade deshalb gerne nehmen, ist kein Geheimnis: Sie stärken ihr Profil, ohne dauerhafte Personalkosten zu verursachen.

Anteil der befristeten Stellen seit 2010 quasi konstant

Kein Wunder, dass der jüngste Bundesbericht zum wissenschaftlichen Nachwuchs Anfang des Jahres feststellen musste: Der Anteil der befristeten Stellen im akademischen Mittelbau hat sich zwischen 2010 und heute quasi nicht verändert. Bei den unter 45-Jährigen liegt er bei 92 Prozent, bei den unter 35-Jährigen sogar bei 98 Prozent.

Was es nicht besser macht: Die Zahl der Nachwuchswissenschaftler:innen steigt seit Jahren stark. Immer mehr Hochqualifizierte müssen um die wenigen unbefristeten Stellen buhlen. Die berufliche Unsicherheit bei Nachwuchswissenschaftler:innen lässt sich mittlerweile sogar an der Geburtenrate ablesen.

Will die Politik die prekären Zustände an den Unis wirklich ändern, muss sie allen qualifizierten Wissenschaftler:innen die Aussicht auf eine unbefristete Stelle ermöglichen – und zwar nicht nur jenen Glückspilzen, die mit Anfang 40 auf einen Lehrstuhl berufen werden. Weil das wenig wahrscheinlich ist, werden sich die Hochschulen an die Forderung frustrierter Wissenschaftler:innen gewöhnen müssen: Wir wollen nicht Hanna sein.

17 Jun 2021

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Ralf Pauli

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