taz.de -- Aufhebung der Homeofficepflicht: Präsenzkultur ist veraltet

CDU und SPD schauen wieder mal nicht weiter als vier Wochen voraus. Dabei geht es jetzt um die Arbeitswelt nach der Pandemie.
Bild: Zukunft der Arbeit: Zuhause in Ruhe arbeiten und für Meetings ins Büro fahren

Das ganze Elend des schwarz-roten Regierens in der Coronakrise offenbart sich in der neu entbrannten Diskussion ums Homeoffice. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) möchte aufgrund der niedrigen Inzidenz die Homeofficepflicht schon vor Ende Juni aufheben, Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist dagegen. Für ein vorsichtiges Vorgehen spricht sicher mehr als für den Ich-glaub-alles-ist-vorbei-Ansatz. Beschäftigte fühlen sich zudem sicherer, wenn sie zumindest einmal geimpft ins Büro zurückkehren, und viele werden dazu [1][erst im Juni Gelegenheit haben].

Doch das ist nicht der eigentliche Punkt. Erschreckend ist, dass die beiden Regierungsparteien wieder einmal nur auf Sicht fahren, also nicht mehr als vier bis fünf Wochen vorausschauen. Denn tatsächlich geht es beim Homeoffice nun darum, wie die positiven Erfahrungen aus dem Lockdown, der Modernisierungs- und Digitalisierungsschub, in das Post-Corona-Arbeitsleben mitgenommen werden können. Denn ohne Zweifel ist auch den meisten Arbeitgeber*innen klar geworden, dass die so lang gehegte deutsche Präsenzkultur aus der Zeit gefallen ist.

Unternehmen, die ihren Arbeitnehmer*innen schon länger mobiles Arbeiten möglichen, etwa die Telekom, arbeiten mit Hybridmodellen. Für Prozesse, bei denen Austausch, Kreativität und Gruppendynamik gefragt sind, trifft man sich im Büro. Der Arbeitsplatz wird mehr als bisher zur Begegnungsstätte. Er ist kein Ort mehr, wo man sich an seinem Platz häuslich einrichtet. Für Arbeiten, die man allein erledigt, ist keine Anwesenheit im Büro nötig (aber möglich). Schreibtische werden je nach Bedarf gebucht.

Die Wirtschaft hat die Vorteile längst erkannt: enorme Einsparpotenziale. [2][Wenn nicht mehr jeden Tag alle Beschäftigten ins Büro kommen müssen, können teure Büroflächen stark verkleinert werden.] Auch die Anzahl der kostenintensiven und familienunfreundlichen Dienstreisen kann mit Videokonferenzen reduziert werden. Zusätzlicher Effekt: [3][zufriedenere Arbeitnehmer*innen], wie Befragungen zeigen.

Die Grünen gehen mit ihrem Vorschlag immerhin in die richtige Richtung. Sie haben erkannt, dass es um Modernisierung geht und es ein Zurück zur Präsenzpflicht nicht geben kann. Doch daraus gleich ein Recht auf Homeoffice abzuleiten wirkt nicht durchdacht. Überzeugender wäre, wenn der ö[4][ffentliche Dienst Vorreiter für eine neue Arbeitswelt würde]. Und ein paar steuerliche Anreize können sicher auch nicht schaden. Alles andere wird sich von allein in die richtige Richtung entwickeln, weil die Vorteile überwiegen.

30 May 2021

LINKS

[1] /Aktuelle-Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5772566
[2] /Finanzcasino-aufgrund-von-Corona/!5715875
[3] https://www.fit.fraunhofer.de/de/presse/20-07-07_fraunhofer-umfrage-homeoffice-ist-digitales-arbeiten-unsere-zukunft.html
[4] /Der-Staat-und-das-Homeoffice/!5745638

AUTOREN

Silke Mertins

TAGS

Schwerpunkt Coronavirus
Homeoffice
Arbeitsrecht
Arbeit
GNS
Homeoffice
Homeoffice
Schwerpunkt Coronavirus
Homeoffice
Lesestück Interview

ARTIKEL ZUM THEMA

Arbeiten in der Pandemie: Abschied vom festen Schreibtisch

Nach dem Auslaufen der Pflicht zum coronabedingten Homeoffice entwickeln sich in vielen Betrieben Mischformen aus Präsenzarbeit und Homeoffice.

Soziologin über Homeoffice nach Corona: „Arbeitgeber können viel sparen“

Aus einem Recht auf Homeoffice könnte schnell eine Pflicht zum mobilen Arbeiten werden, warnt die Soziologin Anke Hassel.

Corona und mobiles Arbeiten: Bis Ende Juni allein zu Haus

Finanzminister Olaf Scholz lehnt eine vorzeitige Aufhebung der Homeoffice-Pflicht ab. Unternehmen hatten dies gefordert.

Bund-Länder-Beschluss zum Homeoffice: Unerträglicher Zustand beendet

Dass sich Bund und Länder erst jetzt an die Betriebe und Büros wagen, ist fatal. Eine Pflicht zum Homeoffice wäre aber auch nicht richtig.

Berlin oder Brandenburg?: „Wir erleben eine Krise der Stadt“

Sabine Kroner lebt in Neukölln und in der Uckermark. Dass immer mehr Berliner aufs Land wollen, sieht sie auch als Chance für den ländlichen Raum.