taz.de -- Soziale Lage in Ostjerusalem: So kann es nicht bleiben

Ein Grund für die Spannungen in Jerusalem ist die soziale Spaltung zwischen Juden und Arabern. Ihre weitere Zuspitzung muss unbedingt verhindert werden.
Bild: Eine Palästinenserin schaut im Ostjerusalemer Bezirk Sheikh Jarrah aus einem Tor

Araber sollten jede Form der Gewalt verurteilen, egal welche Gründe es dafür geben mag. An diese Grundregel will auch ich mich halten. Denn ich bin zutiefst der Überzeugung, dass niemand aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit angegriffen werden darf.

[1][Jerusalem ist von jeher eine komplexe Stadt]. Schon der schwächste Funke kann die Straßen in Brand setzen. Ein Grund dafür ist die Armut. Und die Ungleichheit. Untersuchungen des Jerusalem Institute for Policy Research zeigen, dass 59 Prozent der arabischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Unter den jüdischen Bürgern sind es nur halb so viele.

Der Staat und die städtischen Sozialeinrichtungen tun aber nicht viel gegen Armut. Sie tun auch nicht viel, um unterprivilegierte Gruppen im Bildungssystem zu unterstützen. Der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zum Trotz existieren in Ostjerusalem noch immer Tausende Klassenräume zu wenig. Für arabische Schüler wird deutlich weniger Geld ausgegeben als für jüdische. Mehr als jeder dritte arabische Schüler in Jerusalem schafft keinen Schulabschluss. Das ist ein Grund für das hohe Einkommensgefälle zwischen Juden und Arabern.

Wenn am Jerusalemtag die Flagge Israels auf den Umzügen geschwungen wird, dann steht das auch für [2][die Judaisierung der Stadt]. Nicht nur aufgehetzte rechtsextreme Teenager rufen Parolen, auch höhere Beamte wie Jerusalems stellvertretender Bürgermeister Arieh King sind dabei.

Wo steht Bürgermeister Lion?

Der derzeitige Bürgermeister Mosche Lion hat in seiner Amtszeit nicht wenig für die arabische Bevölkerung der Stadt getan. Aber es ist schwer zu sagen, ob er die Weltanschauungen Kings nicht teilt. Er ist mit Sicherheit kein Freund von Gleichberechtigung. Die Stadt liefert keine Lösungen für die Bewohner Ostjerusalems.

Obwohl es auch Fortschritte gibt, wird zu wenig gegen die sozioökonomischen Unterschiede in Jerusalem getan. So kann es nicht bleiben. Die Verschärfung der sozialen Spaltung muss gestoppt werden. Bevor die Situation explodiert.

15 May 2021

LINKS

[1] /Fehlende-Touristen-in-Jerusalem/!5760323
[2] /Israels-Siedlungspolitik/!5725455

AUTOREN

Nasreen Haddad Haj-Yahya

TAGS

Jerusalem
Palästina
Israel
soziale Ungleichheit
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Palästina
Israel
Jerusalem

ARTIKEL ZUM THEMA

Gewalt in Nahost: Haus von Hamas-Chef unter Beschuss

Israel greift das Tunnelnetzwerk und Infrastruktur der Terrororganisation Hamas in Gaza an. Der UN-Sicherheitsrat versucht sich an einer Stellungnahme.

Unruhen in Nahost: Falsche Rückendeckung

Die Angriffe der Hamas auf Israel sind fatal für die internationale Solidarität. Denn so legitim der Protest in Ostjerusalem auch ist – die Raketen sind es nicht.

Auseinandersetzungen in Israel: Häuserkampf in Jerusalem

In einer Straße in Ostjerusalem wohnen Juden und Araber Tür an Tür. Beide beanspruchen das Viertel für sich – und sind bereit, dafür zu kämpfen.

Ausschreitungen in Israel: Eskalation mit Ansage

Jerusalem ist ein Pulverfass. Solange Palästinenser*innen dort nicht die vollen Rechte haben, wird es immer wieder zu Gewaltausbrüchen wie den jetzigen kommen.