taz.de -- Neues aus den Filmarchiven: Filmkunst im Zeitraffer
Die Osterwoche: „Kulturfilm“ und Stummfilme der 20er, eine Werkschau zu Otar Iosseliani und Screentests aus dem George Eastman Museum, New York.
„Filmverlag der Spezialisten“ nennt sich absolut Medien selbst, und ich würde es hier nicht erwähnen, wenn man dies angesichts eines entsprechenden DVD-, Blu-ray- und Streaming-Programms nicht tatsächlich so beschreiben könnte: Die Filme des eng mit dem fsk-Kino verbandelten [1][Peripher Verleihs] werden dort unter anderem verlegt, Doku-Reihen zum Thema Architektur sowie Filme der Dokumentarfilm-Größen Volker Koepp und Bernhard Sallmann. Zum Programm gehören auch restaurierte Stummfilmklassiker der ARTE-Edition in liebevoller Aufmachung – und zwar nicht ausschließlich die allerbekanntesten.
Für die Osterwoche bietet [2][absolut Medien] in dieser Hinsicht ein kostenloses Streaming-Angebot: bis einschließlich 6. April jeden Tag einen anderen Stummfilm. „Das Blumenwunder“ (1. April) ist eine Wiederentdeckung der letzten Jahre: In den 20er-Jahren enthusiastisch rezipiert, kombiniert der „Kulturfilm“ (so nannte man das damals) faszinierende Zeitrafferaufnahmen von Pflanzen, die für einen geplanten Dünger-Werbefilm des Chemiekonzerns BASF gedreht worden waren, mit tänzerischen Darstellungen des Pflanzenlebens durch Solisten der Berliner Staatsoper sowie einer Musik des Berliner Operettenkomponisten Eduard Künneke.
Auch „True Heart Susie“ (2. April) von D.W. Griffith gehört nicht in die Reihe seiner großen berühmten Epen, sondern stellt sich als ein weniger bekanntes ländliches Melodram von 1919 heraus, in dem eine junge Frau (Griffith' Lieblingsdarstellerin, die fantastische Lillian Gish) ganz selbstlos den Nachbarsburschen liebt, der jedoch zunächst die Falsche heiratet. Gerade in den intimeren Filmen des amerikanischen Regisseurs lässt sich jedoch besonders gut erkennen, wie weit Griffith seinen Zeitgenossen in Sachen dramatischer Gestaltung und Schnitttechnik seinerzeit voraus war (Stream bei Absolut Medien: [3][absolutmedien.de]).
Der unangepasste Iosseliani
Die Filme des Georgiers Otar Iosseliani gehören längst zu den Klassikern der europäischen Filmkunst, nicht zuletzt, weil der Regisseur seit seinem Weggang aus der damaligen Sowjetunion in den frühen 80er-Jahren seine beruflichen Zelte in Frankreich aufgeschlagen hat. Unangepasstheit ist eines der großen Themen seiner tragikomischen Filmparabeln, die nur wenig erklären, aber umso mehr auf Entdeckungen aus sind.
Sieben seiner Filme zeigt das Arsenal 3 im April in einer Werkschau: vom Langfilmdebüt „Die Weinernte“ (1966) (kombiniert Coming-of-Age mit der traurigen Realität der Plansollerfüllung) bis zu dem autobiografisch inspirierten „Chantrapas“ (2010) um einen (fiktiven) georgischen Regisseur, der mit seiner Weigerung sich einzufügen überall aneckt (Streamen im April bei Arsenal 3: [4][www.arsenal-berlin.de]).
Raritäten aus New York
Das George Eastman Museum in New York gehört mit seiner erstaunlichen Film-Kollektion zu den ersten Adressen für amerikanische Filmgeschichte und -technik. Und natürlich gibt es dort auch online so einiges zu sehen: bislang nicht identifizierte Stummfilme, den Screentest von Mary Pickford für das Technicolor-Abenteuer „The Black Pirate“ oder einen von Jacques Tourneur während des Zweiten Weltkriegs gedrehten Werbefilm für das Rote Kreuz mit Ingrid Bergman in Krankenschwesterntracht. Alle Filme, Schnipsel und Raritäten kommen mit höchst kompetenten Einführungen von Filmhistorikern (Stream bei George Eastman Museum: [5][www.eastman.org]).
1 Apr 2021
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Neue und alte Bauten in der Filmgalerie 451, Architekur und Trauma in Linklaters „Bernadette“ und klassisch anarchistische Filme bei Christie Books.
Backstein ist nicht gleich Backstein: Dokus von Volker Koepp und Harun Farocki zeigen Ziegelsteine als alte Kulturtechnik und Grund zum Arbeitskampf.
In seiner Reihe erinnert das Filmarchiv Austria an die Anfänge der Kinematografen in Wien. Nun ist „125 Jahre Kino“ online zu sehen.
Der Marshall-Plan im Kino, ein politischer Kurzfilm von Harun Farocki, Jutta Hoffmann zum Achtzigsten: Das zeigen die Kinomuseen in Berlin und Potsdam.
Unser Autor empfiehlt neben zwei Gesellschaftskomödien auch das experimentelle interaktive Tierfilm-Experiment „Bear 71“ – eine orwellsche Dystopie.