taz.de -- Neuköllner Anschlagsserie: „Schlag ins Gesicht“
Opfer von Neuköllner Anschlagsserie sowie Grüne und Linke üben scharfe Kritik am Zwischenbericht der Sonderermittler des Innensenators.
Berlin taz | Das Video auf Youtube ist sieben Minuten lang. Als Erster spricht [1][Ferat Kocak], Opfer des schwersten Brandanschlags der Neuköllner Serie: Der Zwischenbericht der Sonderbeauftragten habe die schlimmsten Erwartungen übertroffen, sagt er. Nach ihm tritt Christiane Schott von der Gruppe Basta auf. Die Basta-Gruppe demonstriert jeden Donnerstag vor dem Landeskriminalamt für Aufklärung. Auch Schott und ihre Familie sind Opfer mehrerer Anschläge geworden. Der Bericht sei „ein Schlag in das Gesicht der Betroffenen von rechter Gewalt“, sagt sie.
Vernichtender hätte das Urteil der Betroffenen nicht ausfallen können. Am vergangenen Montag hatten die Sonderbeauftragten des Innensenators, Uta Leichsenring und Herbert Diemer, ihren [2][Zwischenbericht] vorgelegt. Der frühere Generalbundesanwalt und die ehemalige Polizeipräsidentin von Eberswalde hatten den Auftrag, den vielen Ungereimten und offenen Fragen im Ermittlungskomplex um die rechtsextreme Anschlagsserie nachzugehen. Ihr Fazit: Die Betroffenen hätten das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden verloren. Tiefgreifende Versäumnisse seien der Polizei aber nicht vorzuwerfen.
Kocak verpackt seine Kritik in dem Video, das Betroffene ins Netz gestellt haben, in bittere Ironie. „Seit elf Jahren terrorisieren Nazis in Neukölln Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen.“ Zahlreiche Skandale habe es bei Polizei und Staatsanwaltschaft gegeben, aber die Aufklärungsquote sei null. Man habe von der neuerlichen Untersuchung zwar nichts erwartet, aber der Zwischenbericht „macht mehr als nur Bauchschmerzen“.
Nicht nur, weil kein Fehlverhalten bei den Ermittlungsbehörden festgestellt worden sei. Die zahlreichen Skandale und Verbindungen mit Neonazis „werden herunterspielt“. Außerdem werde die enthüllende Medienberichterstattung dafür verantwortlich gemacht, dass die Betroffenen ihr Vertrauen in die Sicherheitsbehörden verloren hätten. Die Glaubwürdigkeit in kritische Berichterstattung zu schwächen, so Kocak, „nennt man rechte Argumentationslinie“.
Fragenkatalog nicht beantwortet
Die innenpolitischen Sprecher von Grünen und Linken hatten den Zwischenbericht schon bei der Aussprache im Innenausschuss scharf kritisiert. Der Fragenkatalog sei zu 90 Prozent nicht beantwortet worden, sagte Benedikt Lux (Grüne) am Dienstag zur taz. Für den Abschlussbericht im April erwarte er, dass dieser „in die Tiefe“ gehe.
Er habe an die Sonderbeauftragten eigentlich keine Erwartungen mehr, sagte Niklas Schrader (Linke). „Das läuft ganz klar auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss hinaus.“ In dieser Legislaturperiode sei es dafür aber zu spät.
Die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss wird von den Betroffenen schon lange erhoben. Die Unterschriftenliste sei von 26.000 Menschen unterzeichnet worden, so Kocak. Aber statt der Forderung nachzukommen, gebe der Senat hunderttausende Euro für eine Ermittlungsgruppe nach der nächsten aus. „Stopp that shit!“, wird Kocak deutlich.
2 Mar 2021
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