taz.de -- Impfen in Berlin: Keinen Bock auf jeden Stoff
Auch in Berlin stößt Astrazeneca auf Skepsis. Deshalb wird dort das Ende der freien Impfstoffwahl verkündet. Eine wohl notwendige Zwangsbeglückung, die Risiken birgt.
Es ist schon merkwürdig: Noch im Herbst, als die zweite Welle anrollte, war gar nicht klar, ob es auch nur einen einzigen Impfstoff für die Bevölkerung geben würde. Erst im Dezember wurde mit dem Impfstoff von Biontech der erste für die EU zugelassen, Anfang Januar folgte das Moderna-Vakzin, noch ein paar Wochen später bekam der Stoff von Astrazeneca die Freigabe. Drei Impfstoffe stehen also jetzt bei der Coronapandemie zur Verfügung. Knapp 220.000 Menschen, die über 80-Jährigen und Klinik- und Pflegepersonal, wurden bisher in Berlin geimpft. Es könnte düsterer aussehen, im fortgesetzten Lockdown. Und trotzdem wird erstaunlich viel gemeckert.
Über den Impfstoff von Astrazeneca vor allem, der inzwischen nur noch als B-Ware wahrgenommen wird. Die Nachfrage im Impfzentrum Tegel laufe langsamer an als erhofft, sagte ein Sprecher von Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Mittwoch. Dabei ist der Stoff kaum weniger wirksam – die Studienlage bei Menschen über 65 Jahren ist nur einfach (noch) nicht belastbar. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung bleibt hängen: Wenn man sich’s aussuchen kann, lässt man sich das gute Zeug von Biontech spritzen.
Und Gesundheitssenatorin Kalayci hat ihren Anteil daran, dass keiner mehr Bock hat auf den vermeintlich schlechteren Stoff. Kalayci hatte es den BerlinerInnen mit Impftermin bisher freigestellt, wo sie sich den Stich setzen lassen wollen. Und weil in jedem Impfzentrum ein bestimmtes Präparat verimpft wird, bestand in Berlin de facto ein Recht auf freie Stoffwahl. Mit dem Ergebnis, dass man in Tegel auf der Ware sitzenblieb.
Am Mittwoch ruderte Kalayci dann zurück: „Bei Astrazeneca gibt es keine Wahlfreiheit“, sagte sie am Rande der Eröffnung des fünften Impfzentrums in Berlin – sechs sind geplant – im Pankower Velodrom. Will heißen: Menschen unter 65 müssen ihren Oberarm für Astrazeneca frei machen, Älteren wird der Stoff ohnehin nicht geimpft.
Die Zwangsbeglückung tut vermutlich Not – immerhin wäre es absurd, den wertvollen Stoff nicht zu verimpfen. Aber der Akzeptanz dürfte es eher noch abträglich sein. Was sich hoffentlich nicht auf die Impfbereitschaft durchschlagen wird. Das wäre dann wirklich ein Desaster: Wenn viele ihren Oberarm am Ende lieber gar nicht mehr frei machten als für einen vermeintlich schlechten Impfstoff.
20 Feb 2021
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Laut RBB werden die meisten AstraZeneca-Dosen in Berlin nicht genutzt. Die Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) hält an ihrem Kurs fest.
Es ist typisch deutsch: Immer schön der Reihe nach impfen. Doch dieses Prinzip verhindert fatalerweise eine schnellere „Durchimpfung“ der Bevölkerung.
Impffahrten versüßen dem Berliner Taxigewerbe den Lockdown. Nach den über 80-Jährigen erhalten nun auch die über 70-Jährigen Droschkengutscheine.
1,3 Millionen Impfdosen liegen ungenutzt in den Lagern. Die Politik ist aufgefordert, den wirksamen Schutz schleunigst unter die Menschen zu bringen.
Trotz des weltweiten Engpasses bei Impfstoffen werden einige Zentren ihre Dosen nicht los. Nun gibt es eine Lockerung der Impfstoffreihenfolge.
Absurditäten mit der Mutter, Skepsis gegenüber AstraZeneca und Repression gegen die Kurd*innen in der Türkei. Aber Volker Bouffier macht Hoffnung.
Manche Ärzt*innen und Pfleger*innen wollen sich nicht mit dem Impfstoff von AstraZeneca impfen lassen. Sind die Zweifel berechtigt?
Der Streit um die Impfdosen, der Verantwortung des Verkehrsministers und das Urteil im Lübcke-Mord zeigen: Alles ist bedenklich.
Wolfgang Albers (Linke) über den Fauxpas von Gesundheitssenatorin Kalayci (SPD): Sie wollte in Berlin Impfstoff produzieren lassen.