taz.de -- Covid-19 in Brasilien: Wenn der Sauerstoff ausgeht

In der Regenwaldmetropole Manaus explodieren die Infektionszahlen. In den Krankenhäusern sind viele auf private Sauerstoffflaschen angewiesen.
Bild: Eines von vielen Begräbnissen auf einem Friedhof in Manaus Anfang Januar 2021

Berlin taz | Die Luftbilder der Massengräber in Brasilien gingen zu Beginn der Coronapandemie um die Welt. Nun macht die Regenwaldmetropole Manaus im Norden des Landes erneut traurige Schlagzeilen. Am Donnerstag meldeten Krankenhäuser, dass ihnen der Sauerstoff ausgegangen sei.

Mitarbeiter*innen sollen bereits versuchen, Patient*innen manuell zu beatmen. In sozialen Medien [1][gehen Videos von Menschen viral], die privat angeschaffte Sauerstoffflaschen für ihre kranken Verwandten in Krankenhäuser tragen. Der Direktor des größten öffentlichen Krankenhauses verschickte einen dramatischen Appell über Whatsapp-Gruppen: „Wenn irgendjemand helfen kann, die Beatmung aufrechtzuerhalten, bitte, wir brauchen Sie!“

206.000 Menschen sind [2][in Brasilien bereits an Covid-19 gestorben] – das ist die zweithöchste Zahl nach den USA. Manaus war bereits zu Beginn der Pandemie schwer von der Gesundheitskrise betroffen. Nun sind die Zahlen erneut explodiert: Alleine in den ersten zwölf Tagen des neuen Jahres waren mehr als 2.000 Neuinfizierte in die Krankenhäuser eingeliefert worden. Hunderte stehen auf Wartelisten für Intensivbetten und viele Menschen sind bereits erstickt, ohne behandelt worden zu sein.

Der rapide Anstieg der Neuinfektionen könnte laut Expert*innen auf eine Virusmutation zurückzuführen sein, die [3][im Amazonas-Bundesstaat] entdeckt wurde. Doch auch die laxen Isolationsmaßnahmen und die Nachlässigkeit der Bevölkerung werden als Grund genannt.

Der deutsche Übersetzer Klaus Reuss, der in Manaus lebt, sagte der taz, dass sich in den letzten Wochen viele Menschen nicht an die Vorschriften gehalten hätten. So hätten Partys mit tausenden Gästen stattgefunden, Menschen gingen ohne Mundschutz auf die Straße, die Geschäfte und Bars seien voll gewesen. Viele Weihnachts- und Neujahrsfeste fanden ohne Einschränkungen statt.

Sauerstoff aus Krisenstaat Venezuela

Der Gouverneur des Amazonas-Bundesstaats, Wilson Lima, gestand am Donnerstag auf einer Pressekonferenz die dramatische Lage ein und verkündete eine Ausgangssperre zwischen 19 und 6 Uhr. Coronapatient*innen sollen nun in andere Bundesstaaten ausgeflogen werden und ausgerechnet mit dem Nachbar- und [4][Krisenstaat Venezuela] wurde eine Notversorgung mit Sauerstoff vereinbart. Internetnutzer*innen und Prominente sammeln derweil Spenden, um privat Sauerstoffflaschen in den Amazonas-Bundesstaat verschicken zu können.

Expert*innen hatten lange vor einem erneuten Zusammenbruch des Gesundheitssystems gewarnt und erklärt, dass in der schwer gebeutelten Millionenstadt nicht mit einer Herdenimmunität zu rechnen sei. Ende Dezember nahm der rechte Gouverneur Lima ein Dekret für einen neuen Lockdown nach öffentlichem Druck zurück. Diese Entscheidung wurde von rechten Politiker*innen, wie dem Sohn von Präsident Jair Bolsonaro, gefeiert.

Vizepräsident Hamilton Mourão erklärte am Donnerstag, Sauerstoffflaschen mit Militärflugzeugen in den Bundesstaat einfliegen zu lassen. Präsident Bolsonaro meldete sich am Donnerstagabend an der Seite seines Gesundheitsministers Eduardo Pazuello zu Wort. In einem Live-Video erklärte Bolsonaro, der Corona mehrmals als „kleine Grippe“ bezeichnete, Kranke verspottete und Warnungen der Weltgesundheitsorganisation WHO ignorierte, dass die Verantwortung für das Chaos in Manaus bei der Landesregierung und Stadtverwaltung liege.

Der Ex-Militär pries erneut das [5][umstrittene Malaria-Medikament Chloroquin] als Wundermittel gegen Covid-19 an. Die Regierung steht außerdem für ihre Impfstrategie in der Kritik. Bolsonaro macht aus politischen Gründen Stimmung gegen einen chinesischen Impfstoff und erklärte mehrmals, sich selbst unter keinen Umständen impfen zu lassen.

Klare Worte fand der linke Politiker Marcelo Freixo auf Twitter: „Das ist keine Inkompetenz. Was wir derzeit in Manaus beobachten, sind die Konsequenzen von vorsätzlichen Verbrechen Bolsonaros und seiner Komplizen.“

15 Jan 2021

LINKS

[1] https://twitter.com/RiodeNojeira/status/1349844955456528384
[2] /Corona-in-Brasilien/!5692357
[3] /Coronapandemie-in-Brasilien/!5699127
[4] /Corona-in-Venezuela/!5672057
[5] /Bayer-stellt-Malariamittel-her/!5676443

AUTOREN

Niklas Franzen

TAGS

Schwerpunkt Coronavirus
Brasilien
Schwerpunkt Coronavirus
Jair Bolsonaro
Brasilien
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schule und Corona
Brasilien

ARTIKEL ZUM THEMA

Coronapandemie in Brasilien: Der Nächste, bitte

Bei über 1.800 Coronatoten pro Tag bekommt Brasilien jetzt den vierten Gesundheitsminister seit Beginn der Pandemie. Ändern dürfte sich wenig.

Umweltpolitik der Bolsonaro Regierung: 59 Initiativen gegen die Umwelt

Brasiliens Regierung hat die Ablenkung durch Corona systematisch genutzt, um die Abholzung von Regenwald zu erleichtern. Das zeigt eine Studie.

Coronamaßnahmen in Deutschland: Komplizierte Suche nach Auswegen

Die Debatte um einen noch härteren Lockdown verschärft sich. Das Spitzentreffen mit Merkel findet schon kommenden Dienstag statt.

Corona-Hotspot Brasilien: Ideal für Impfstoffversuche

Aufgrund der hohen Infektionsrate in Brasiliens Bevölkerung eignet sich das Land besonders gut für klinische Studien. Das hat Folgen.

Schulstart trotz Corona in Brasilien: Keine Zeit für die Schule

Selbst wenn die Schulen in Brasilien bald wieder öffnen sollten: Viele Kinder werden wahrscheinlich nicht hingehen können.

Coronapandemie in Brasilien: Angst am Amazonas

Nach den großen Städten breitet sich das Coronavirus im brasilianischen Hinterland aus. Dort ist die medizinische Versorgung meist mangelhaft.