taz.de -- Umgang mit Grenzen zu Großbritannien: Chaotische Reaktion

Neun Monate nach Beginn der Pandemie macht immer noch jeder Staat, was er will. Daran hat auch der EU-Ratsvorsitz Deutschlands kaum etwas geändert.
Bild: Bahnverbindungen unterbrochen: Geschlossenes Eurostar-Terminal am Montag in Brüssel

Was sich in den letzten Tagen an [1][den Grenzen zwischen Großbritannien und der EU] abgespielt hat, sah aus wie eine Strafaktion. Flug-, Bahn- und Fährverbindungen waren unterbrochen, Hunderte von Lastwagen standen im Dauerstau. An deutschen Flughäfen gab es sogar eine Art „Triage“: [2][Britische Passagiere wurden ausgesondert] und mussten sich speziellen Tests unterziehen.

Offiziell ging es bei alldem um den Schutz vor [3][der neuartigen Variante des Coronavirus]. Doch unterschwellig war die kontinentale Inselsperre mit einer politischen Botschaft verknüpft: So wird es euch ergehen, wenn Premier Boris Johnson nicht bald in ein Handelsabkommen einwilligt, schienen die Europäer zu sagen. Hütet euch vor einem „No Deal“.

Doch plötzlich ist alles ganz anders. Die EU-Kommission distanziert sich sogar von den eilig verhängten Grenzschließungen. Ein „Blanko-Reiseverbot“ sei keine angemessene Antwort auf [4][die neue Gefahr], hieß es. Briten und Kontinentaleuropäer dürften nicht pauschal davon abgehalten werden, zu Weihnachten nach Hause zu reisen.

Zuvor hatten sich die 27 EU-Staaten nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Die Niederlande waren vorgeprescht, und dem deutschen EU-Vorsitz ist es danach nicht gelungen, alle Mitglieder auf eine Linie zu bringen. Das verheißt nichts Gutes für die nächsten Tage und Wochen – weder für die Briten noch für die EU-Bürger und ihren Schutz vor der neuen Virusvariante.

Die Briten müssen nun fürchten, dass es auch ohne einen harten Brexit jederzeit zu Reisesperren und Versorgungsengpässen kommen kann. Paradoxerweise könnte sie das sogar wieder in die Arme von Johnson treiben. Und die EU-Bürger? Die müssen erkennen, dass es mit der versprochenen [5][gemeinsamen Coronapolitik nicht weit her ist]. Neun Monate nach Beginn der Pandemie macht immer noch jeder, was er will. Weder die Kommission in Brüssel noch der Ratsvorsitz in Berlin haben daran etwas geändert. Die deutsche „Coronapräsidentschaft“ endet im Chaos, Besserung ist nicht in Sicht.

22 Dec 2020

LINKS

[1] /Covid-19-Mutation-in-Grossbritannien/!5735288
[2] /Coronamutation-in-Grossbritannien/!5740080
[3] /Biontech-zu-mutiertem-Coronavirus/!5740212
[4] /Mutierter-Coronavirus/!5735171
[5] /Neue-Virusvariante-in-Grossbritannien/!5735084

AUTOREN

Eric Bonse

TAGS

Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Brexit
Großbritannien
Europäische Union
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus

ARTIKEL ZUM THEMA

Reisebeschränkungen und Grenzkontrollen: Wieder Grenzschließungen in der EU?

Vor dem Gipfel ist eine hitzige Debatte über die umstrittenen Maßnahmen entbrannt. Offenbar denkt nun auch Brüssel anders darüber.

Corona in Großbritannien: Lkws dürfen wieder in die EU

Paris und London haben sich auf eine Lockerung der Verkehrssperre geeinigt. Voraussetzung für Einreisen nach Frankreich ist ein negativer Coronatest.

Aktuelle Entwicklungen in der Coronakrise: Großbritannien abgeriegelt

In Großbritannien wurde eine Mutation des Coronavirus identifiziert, europäische Länder stoppen Flüge von dort. Die Berliner Charité geht in den Notfallbetrieb.

Neue Virusvariante in Großbritannien: Corona schlägt Brexit

Immer mehr Länder schotten sich von Großbritannien ab. Besser, als einen schnellen Brexit-Deal zu erzwingen, wäre jetzt eine gemeinsame Virusbekämpfung.

Mutierter Coronavirus: Neue Variante, wohl ansteckender

Der neue mutierte Stamm des Coronavirus ist wohl leichter übertragbar. Der Impfstoff sollte wirksam bleiben, sagen Experten.

Aktuelle Entwicklungen in der Coronakrise: Lauterbach fordert Einreiseverbot

Das mutierte Coronavirus könnte noch ansteckender sein, sagt SPD-Mann Karl Lauterbach. Der Reiseverkehr von und nach Großbritannien sollte eingeschränkt werden.